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Predigt · Sonntag Reminiscere · 25. Februar 2024 · Pfarrer Michael Hufen

Posted on Feb 26, 2024 in Predigten

Predigt

Sonntag Reminiscere

25.Februar 2024

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder

Eigentlich müsste ein Freund von mir hier stehen – Atheist, Fußballer, Manager und ich würde sagen ein guter Mensch. Er hat mir nämlich, ohne es zu wissen am Donnerstag eine Art Predigt gehalten und ohne es zu wissen zwei wichtige Motive des heutigen Predigttextes in einer Art ausgelegt, mit eigenen Erinnerungen gefüllt, die mich den Text dann ganz neu lesen ließen – und mir nebenbei an dem Abend gutgetan haben.

Wie verreisen sie/ihr? Mit genauem Plan und Vorbereitung, Pauschal- oder Individalurlaub? Wie gehen Sie/ihr damit um, wenn etwas schief geht, Streik auf dem Weg zum Flughafen oder dort, schlechtes Essen, quengelnde Kinder, sie haben etwas vergessen mitzunehmen, gibt es genaue Listen der abzuhakenden Sehenswürdigkeiten und was passiert, wenn Sie sich verlaufen. In Zeiten von google-maps zwar fast unmöglich, weder mit dem Auto noch beim Laufen durch eine Stadt oder gar beim Wandern.

Am Donnerstag haben wir uns Geschichten erzählt vom Verlaufen, vom Weg abkommen und von Umwegen, die zum Höhepunkt einer Reise wurden, ich aus dem Harz mit meinen Großeltern und dem Riesengebirge mit meinen Kindern, er von einer Wanderung durch den Dschungel auf Borneo – bei ihm klang das dramatischer, aber jedenfalls wollte er die drei Tage in einem Camp von Waldarbeitern nicht missen, in dem er gestrandet ist, weil er zu spät dran war und dann auch noch falsch abgebogen ist.

Und er erzählte von der Wüste, ich kannte die Geschichte schon, hatte sie schon mehrfach gehört, aber sie ist wichtig für ihn: vor bald 20 Jahren hat er im Rahmen seiner Coachingausbildung eine Wanderung in der Sahara gemacht. Nicht chic mit hinterherfahrendem Packauto und guter Ausrüstung wie in „Jenseits von Africa“, sondern mit einem Rucksack, brüllende Hitze und extreme Kälte, Weite, Licht, Einsamkeit, das Wort Hygiene bekam eine ganz neue Bedeutung und es ging an eine Grenze dessen, was er für möglich gehalten hätte. Er sagt dazu: „Das war die anstrengendste und wichtigste Woche seines Lebens.“

Laut Robert Musil ist die Wüste seit je eine Geburtsstätte religiöser Gesichte gewesen.

So würde es mein Freund nicht sagen, aber er wird die Wüstenerfahrungen der Predigttexte vom vergangenen Sonntag Invocavit – Jesu Versuchung in der Wüste – und den heutigen aus dem 4. Buch Mose sicher gut verstehen.

TEXT LESEN

Die Wüstenwanderung des Volkes Israel ist reich an Entbehrungen und Umwegen. Es wird gemurrt, gezetert und gehadert, an Mose und an Gott gezweifelt und in unserm Text sogar rebelliert. Die verklärte Erinnerung an das so gute Leben in Ägypten wird in bunten Farben ausgemalt, das Ziel – ein Leben in ganz neuer Freiheit lockt nicht mehr und doch werden die Wüstenerfahrungen fundamental für das Selbstverständnis und das Gottesverhältnis des Volkes Israel. Die mentale und geographische Verirrung eröffnet die Möglichkeit, Gott noch einmal anders kennenzulernen, und sich selber auch, wenn auch unter Schmerzen und Verlusten.

Ohne die Verirrungen wäre es nicht geschehen.

So wie auch die Reise von Odysseus von Troja nach Ithaka als Reisebericht einer zweiwöchigen Überfahrt kaum von Homer erzählt worden wäre und wir die symbolträchtigen Erzählungen von Skylla und Charybdis Circe, den Sirenen und Polyphem als wichtige Motive vieler coming of age Geschichten nicht kennen würden.

Die Wüstenwanderung ist eine Sammlung von Anfechtungen, Murr- und Ausgleichsgeschichten von Israel, Mose und Gott.

Die Rettung am Schilfmeer, das Manna- und Wachtelwunder, Mose, der den Durst seines Volkes stillt und von Gott seiner Führungsmacht beraubt vom Zugang zum gelobten Land ausgeschlossen wird. Die Israeliten, an denen sich Gott heilig erwies, wenden sich ab und doch bitten sie Mose für sie Fürbitte zu halten, trotzdem sie so oft gegen ihn und auch gegen Gott geredet hatten. Die persönliche Not lehrt beten. Aus Leid und Empörung finden die Israeliten gemeinsam mit Mose ein neues Gottesverhältnis, dass sie dann wirklich in die Freiheit führt. Und diese Freiheit liegt zuerst einmal dort, wo es ungemütlich ist: in der Wüste.

Und die dauernden – 40 Jahre dauernden Umwege – machen es dem Volk nicht leicht.

Die Wörter der Bibel meinen soviel wie: Kurzatmigkeit, Verdrossenheit, Kleinmut oder Niedergeschlagenheit.

Doch Gottes Weg mit den Seinen ist eben nicht der kürzeste – in jeder Beziehung, aber auch auf den Umwegen ist er dabei und segnet sie. Ein deutlicheres und eindrücklicheres Bild für die Gestalt unserer Wege, auf denen Gott bei uns ist als Wüste, kann ich mir nicht vorstellen. Aber gerade hier ist er mit uns unterwegs.

Und die Israeliten kommen ihm auf diesem Weg entgegen. „Wir haben gesündigt“ und Gott gibt ihnen ein Zeichen – die aufgerichtete Schlange.

Indem die Israeliten sich ihrer Schuld gewahr werden, ermöglichen sie die Fürbitte Moses – und das gibt Gott die Möglichkeit zur Reminiszenz, zur Rückerinnerung an seine Barmherzigkeit und zum vor-Augen-Stellen seiner Macht und Treue, trotz allem, was war und ist.

Gott stellt das Heilmittel zur Verfügung, aber es braucht schon die eigene Erinnerung, den persönlichen Glauben und die menschliche Initiative.

„Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit“ heißt es im Psalm

„Und lass deinen Weinberg nicht verkommen“ so könnte mit Blick auf den Jesajatext das Gebet weitergehen.

Diese ganze Motivik hat ja schon der Predigttext des vergangene Sonntags, die Versuchungsgeschichte Jesu während seiner 40 Tage in der Wüste, ausgebreitet. Die Versuchungen, denen Jesus ausgesetzt ist, als er um Selbsterkenntnis ringend, in der Wüste fastete.

Beim Nachdenken über diesen Text ist natürlich der Gedanke naheliegend, wo unsere Versuchungen sind, was uns versucht, uns nicht zu uns selbst kommen lässt, sondern als egoistische Schweinehunde den Mechanismen von Macht und Geld unterworfen und uns ihnen selbst unterwerfend, ein Leben entfremdet von Gott, unseren Mitmenschen und entfremdet von uns selbst zu leben.

Oder um im Bild der Wüstenwanderung zu bleiben, welche Zustände verklären wir, weil uns das Leben in wirklicher Freiheit zu herausfordernd ist? In welche Gefängnisse und welche Versklavungen sehnen wir uns dann doch zurück, weil wir unseren Mut und unsere Kraft unterschätzen und der Treue Gottes und seiner Begleitung auf dem Weg in der und zur Freiheit nicht wirklich viel zutrauen.

Worauf können wir vertrauen und worauf schauen? – eine wichtige Anmerkung an dieser Stelle: die eherne Schlange hat der jüdische König Hiskia zerschlagen, weil sie keinen Platz im Tempel Gottes hat!

Worauf können wir vertrauen und worauf schauen?

Vor der Versuchungsgeschichte Jesu berichtet Matthäus von Jesu Taufe:

Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. 17Und siehe, eine Stimme aus dem Himmel sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

Und ich ergänze mal: auf den sollt ihr hören oder hört auf das, was er gesagt hat.

Und sagen tut Jesus direkt nach der Versuchungsgeschichte ziemlich viel. Er hält die Bergpredigt. Mit all ihren Seligpreisungen ist sie viel mehr, als sich hinter dem dürren theologischen Wort von der „jesuanischen Ethik“ vermuten lässt. Die Seligpreisungen sind Zusage und Anspruch, Handlungsmotivation und Trost, Hoffnung und Versprechen

„Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.

Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.

Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.

Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.

Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.

Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.

Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.

Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.

Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei lügen. Seid fröhlich und jubelt; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.

Das ist doch Nahrung in Wüstenzeit! Motivation auf den Umwegen und Irrwegen unseres Lebens und tatsächlich auch Heilmittel gegen die feurigen Schlangen der Versuchungen.

Spätestens bei der letzten Seligpreisung „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei lügen!“, wird doch ganz klar, dass wir in unseren Wüstenzeiten und Versuchungen andere Nahrung und andere Orientierung brauchen, als die Welt zu bieten hat.

Passend dazu schrieb die NZZ am Freitag: Kirchen, die reden wie die Welt, denken wie die Welt und agieren wie die Welt, braucht die Welt nicht.

Und wenn uns das alles immer noch viel zu abstrakt ist, dann können wir das tun, was Glaubenslehrerinnen und Glaubenslehrer von alters her empfohlen haben: Schaut auf das Kreuz!

Nicht, um uns demütig und klein zu halten, sondern damit wir verstehen, dass alle Versuchungen, alle Macht, alles Geld und alle verfehlten Selbstansprüche verstummen angesichts des Gekreuzigten, seiner Liebe und Hingabe, die tatsächlich den Weg in die Freiheit, in die Gotteskindschaft weisen.

Amen