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Predigt · 17.12.2023 · 3. Advent · Pfarrerin i.R. Ruth Misselwitz

Posted on Dez 17, 2023 in Predigten

Matthäus 11,2-10


Liebe Schwester und Brüder,
die Begegnung zwischen Johannes dem Täufer und Jesus von Nazareth hat für beide eine persönliche und weltgeschichtliche Bedeutung, die bis heute ihre Spuren hinterlassen hat.
Johannes betritt die Weltbühne als Bußprediger, der das Ende der Welt und den Anbruch des Reiches Gottes ankündigt, als die Welt im Argen liegt. Mit feurigen Worten und zornigen Androhungen fordert er seine Zuhörer zur Buße – zur Umkehr – von ihren sündigen Machenschaften auf, um dem gerechten Höllenfeuer, als Strafe für ihre Bosheit, zu entkommen. Er selbst lebt als Asket, der sich von Heuschrecken und wildem Honig ernährt, in der Wüste, wahrscheinlich in den Höhlen von Qumran am Toten Meer, in der Gemeinschaft der Essener, die sich als Auserwählte und besonders reine Menschenkinder verstanden.
Johannes erreicht mit seiner Bußpredigt und seiner Taufe als Reinigungsbad eine große Schar von Anhängerinnen, so auch Jesus von Nazareth.
Es entsteht zwischen den beiden Männern eine tiefe Freundschaft, die bis zum Tod von Johannes hält, obwohl es zwischen den Anhängern der beiden so manchen Konkurrenzstreit gegeben haben soll. Wer von beiden ist der Messias – Johannes oder Jesus?

Nachdem sich Jesus wohl eine Zeitlang in der Jüngerschaft des Johannes aufgehalten hat, trennen sich ihre Wege. Der Weg Jesu führt aus der Abgeschiedenheit der Wüste zurück in die weltliche Gemeinschaft seines Heimatortes in Nazareth und um den See Genezareth. Hier führt er das Werk des Johannes fort, ruft zur Umkehr, predigt vom Beginn des Reiches Gottes und gestaltet inmitten der Welt in seiner Jüngerschaft eine Gemeinschaft, die geprägt ist von gegenseitiger Achtung und Wertschätzung.
In der Gemeinschaft herrscht Gleichstellung von Männern und Frauen, Starken und Schwachen, Armen und Reichen, ohne hierarchische Strukturen und im Vertrauen auf den Vater-Gott, der die Welt mit seiner Liebe umfängt. So erleben sie im Hier und Jetzt – mitten im weltlichen Getümmel den Beginn der neuen Welt als Vorwegnahme des verheißenen Reich Gottes.
Jesu Kernbotschaft ist nicht der Zorn Gottes in dem zu erwartenden Gericht, sondern die Liebe Gottes zu den Menschen und die Rettung der Welt. Johannes der Täufer gerät in die Mühlen der Justiz, weil er den Machthabern unmoralisches und kurruptes Handeln vorwirft. Im Gefängnis überkommen ihn Gedanken und Zweifel – ist Jesus wirklich der Messias?

Damals als er zu ihm an den Jordan kam und sich taufen ließ, war Johannes überzeugt davon. Er verstand sich nur als der Wegbereiter für den großen Propheten, den Sohn Gottes, auf den das Volk Israel so sehr gewartet hat. Doch nun im Gefängnis ist sich Johannes nicht mehr so sicher. Hat sich die Welt verändert hin zum Guten? Ist der Friede, die Gerechtigkeit – der Schalom Gottes – endlich mit diesem Mann aus Nazareth in dieser Welt angekommen?
Johannes kann davon nicht viel spüren, er erwartet, in Ketten gebunden, den nahen gewaltsamen Tod. Und er schickt seine Jünger zu Jesus mit der Frage: „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Die Antwort Jesu ist überraschend: „Geht hin und sagt Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“ Jesus sagt nicht: Ja, ich bin es, glaubt an mich und zweifelt nicht. Nein, er sagt, schaut euch um und achtet darauf, was ihr seht.
Ja, was soll denn Johannes sehen – Gewalt und Heuchelei, Gesetzesbruch und Verrat, Mord und Totschlag – das umgibt ihn unmittelbar in seiner düsteren Zelle. Doch Jesus erweitert seinen Blick und lenkt ihn in eine völlig andere Richtung, in eine Wirklichkeit, die es neben und trotz der Dunkelheit auch gibt.
Er weist auf die Elenden und Kranken, die Hoffnungslosen und Ausgegrenzten, die an den Rand gedrängten und verarmten Mitmenschen, die in der Begegnung mit Jesu wieder aufrecht stehen lernten,
denen die Augen geöffnet wurden, die aus ihrer Lähmung und Totenstarre erwachten, weil neues Leben in sie eindrang und sie wieder in Bewegung setzte.
Die trüben Augen fanden ihren Glanz zurück, weil es wieder Hoffnung auf eine Zukunft gab. In der Begegnung mit Jesus wurde ihnen ihre Würde wieder geschenkt, sie erlebten sich als geliebte und wertvolle Menschen, die wieder einen Platz in dieser Welt und in der Menschengemeinschaft fanden.
Jesus zeigt auf die andere Welt, die es neben der düsteren auch gibt und die er als Beweis dafür bringt,
dass das Heilsgeschehen Gottes durch ihn Wirklichkeit geworden ist.
Mit den Worten, die er dann an die Jünger des Johannes richtet, solidarisiert er sich ganz und gar mit Johannes, dem Täufer. Er setzt ihn gleich mit dem größten Propheten Israels – mit Elia. Jesus wehrt damit jegliche Versuche der Spaltung und des gegeneinander Ausspielens zwischen der Anhängerschaft ab.

Liebe Schwestern und Brüder, wie Johannes diese Worte im Gefängnis aufnimmt und ob sie ihn von der Gottessohnschaft Jesu überzeugten, wissen wir nicht, darüber schweigt die Bibel. Doch in den 2000 Jahren danach haben Menschen immer und immer wieder Kraft und Hoffnung aus den Worten Jesu geschöpft,
die Welt, die sie unmittelbar umgab und die Gemeinschaft, in der sie lebten, danach gestaltet.
Bis auf den heutigen Tag nehmen Menschen die Botschaft Jesu aus seinem Leben und seinen Worten ernst, gestalten danach ihr Leben und das ihrer Gemeinschaften. So erlebt die Welt überall und zu jeder Zeit den Einbruch Gottes mitten in die Wirklichkeit, so bricht das Licht in die Dunkelheit und erhellt es mit seinem Schein.

Liebe Schwestern und Brüder, ich gebe zu, dass auch ich so manche dunkle Stunde erlebe, in der ich wie Johannes darüber grüble, ob wir nicht doch noch auf einen anderen warten müssen, damit die Welt endlich erlöst wird. Wie großartig wäre es – er, der Messias – käme wie ein Blitz vom Himmel und würde mit einem kräftigen Handschlag das Böse vernichten und dem Guten zum Sieg verhelfen.
Und endlich, endlich wäre die Welt erlöst und der Friede Gottes uneingeschränkt Wirklichkeit.
Aber solange das noch nicht der Fall ist, bleibt uns nur die Weisung Jesu: Schaut euch um, sucht nach dem Licht in der Finsternis, sucht nach den Menschen, die die Botschaft Jesu leben und versucht selber so zu leben, werdet selbst zum Licht in dieser Finsternis, dann wird sich das Reich Gottes mitten unter euch verwirklichen.
Und wenn wir uns umschauen, dann entdecken wir überall diese Lichter in unserer unmittelbaren Umgebung durch die Hilfe der Nachbarin, durch das tröstende Wort des Freundes. Wir erleben es in dem unermüdlichen Einsatz der vielen Menschen, die sich um die Geflüchteten in unserem Land kümmern,
die Menschen aus sinkenden Booten retten, die Kindern aus prekären Verhältnissen eine tägliche warme Nahrung in Schulen oder anderen Einrichtungen zubereiten. Wir erleben es bei Menschen, die das Leben der sogenannten „Feinde“ genauso schützenswert finden, wie das eigene und den Kriegsdienst verweigern in der Ukraine, in Russland, in Israel oder Palästina. Wir erleben es bei den Menschen, die sich zwischen die Fronten stellen und Brücken bauen, die die feindlichen Lager verbinden. Wir erleben es bei den unzähligen jungen und alten Menschen, die sich für die Bewahrung der Schöpfung einsetzten, die Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten bewahren und den Lebensraum der bedrohten Völker schützen wollen. Wir entdecken die Kraft des Heiligen Geistes überall auf der ganzen Erde.

Klagen wir nicht länger über die Bosheit der Welt,
sondern leben wir das Evangelium Jesu hier mitten in der Finsternis,
so wird die Welt ein wenig heller und menschenfreundlicher,
so werden wir auch zu Boten Jesu Christi.
Amen