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Predigt · 2.Sonntag nach Trinitatis · 18. Juni 2023 · Pastor Thies Gundlach

Posted on Jun 19, 2023 in Predigten

Gnade sein mit uns und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn JC. Amen

Liebe Gemeinde,

das eben gehörte Gleichnis vom Großen Abendmahl scheint ziemlich leicht verständlich zu sein: das ist ein guter Mensch, der lädt zum Abendmahl ein. Aber da die Eingeladenen Besseres vorhaben und die Einladung ablehnen, wendet er sich den Armen und Lahmen, den Verkrüppelten und Blinden zu, also jenen in der Gesellschaft, die keine Chance haben und vermutlich noch nie im Leben zu einem Festmahl eingeladen wurden. Und weil noch Platz ist, werden auch die Landstreicher von den Zäunen aufgefordert mitzufeiern. Gemeint ist geistlich: Gott lädt alle ein, auch die Armen und Kranken.

Ich habe mal während meiner Ausbildungszeit als Vikar eine Reise nach NY gemacht und dort eine eindrückliche Interpretation dieses Gleichnisses erlebt. In einem schicken Stadtteil vom Manhatten gab es eine sogenannte Yuppie Kirche, also Gemeindemitglieder waren zumeist reiche Young Urban Professionals. Aber einmal im Monat bereiten diese jungen Leute den Gemeindesaal festlich vor, stellen Geschirr auf ordentliche Tischdecken, stellen Kerzen und Weingläser dazu und luden die Obdachlosen ihres Bezirkes ein, arme, oft people oft colour, oft zerlumpte Menschen – Sie wissen, in USA gibt es keine so ausgeprägte Sozialgesetzgebung wie bei uns. Die Menschen strömten hinein, setzen sich und wurden bedient mit einem richtigen kleinen Festessen. Der Gemeindeleiter betete natürlich vor Beginn und sagte dann sinngemäß: „Überall sonst seid Ihr Bittsteller, bei den Ämter, bei den Ärzten, bei der Essensausgabe, bei den Übernachtungsstellen usw., bei uns aber seid ihr Gäste!“

II.

Nun hat unser Gleichnis vom Großen Abendmahl aber eine zweite Seite, gleichsam eine Rückseite, die man auf Anhieb nicht so leicht erkennt, die aber zum Teil verheerende Folge in der Geschichte des Christentums zeitige. Und diese kritische Lesart beginnt mit der Frage, wen der freundliche Mensch eigentlich zum Abendmahl eingeladen hatte? Offensichtlich sind nur Menschen eingeladen aus der eigenen vermögenden Schicht. Denn ein großes Abendmahl auszurichten ist teuer und auch die Ausreden sind allesamt ökonomisch begründet.

Eine Ablehnung der Einladung, weil man sich einen Acker gekauft hat oder Ochsen erworben hat oder – Achtung, damalige Geschlechterverhältnisse – eine Frau heiratete, das zeigt an, dass ein Reicher seine reichen Freunde einlädt. Und dass sie sich nicht selbst entschuldigen, sondern um Entschuldigung bitten, zeigt an, dass sie aus der Bildungsschicht stammen.

Wie oft hören Sie den Satz: Ich entschuldige mich für dies und das? Dabei kann man sich nicht selbst entschuldigen, man muss entschuldigt werden von dem, der einen Schuldanspruch gegen mich hat. Falls sie Bahnfahrer/in sind, kennen sie beides: Wir entschuldigen uns für die Verspätung! Richtiger aber wäre: Wir bitten um Entschuldigung für die Verspätung. Aber zugegeben: nach einer gewissen Anzahl von Verspätungen hat man gar keine Lust mehr, Entschuldigungen anzunehmen – und dass, obwohl die Begründungen immer phantasievoller werden.

III.

Wie auch immer, die drei Gäste lehnen die Einladung aus ökonomischen Gründen ab und das ist natürlich ziemlich aktuell, weil es heute vermutlich auch nicht anders wäre. Hinzu kommt, dass wir vielleicht noch andere Ausreden hinzufügen: Ich muss mich erst noch erholen, ich bitte dich, entschuldige mich. Oder: Ich muss noch eine Netflix-Serie zu Ende gucken, ich bitte dich, entschuldige mich. Oder: Ich muss noch 100.000 Mails checken, ich bitte dich, entschuldige mich. Und natürlich steht auch bei uns im Hintergrund eine geistliche Bedeutung, die da lautet: Ich habe Wichtigeres zu tun als zu Gott zu kommen! Ich habe keine Zeit für Spiritualität, ich habe keine Zeit für Geistliches, ich bitte um Entschuldigung. Immer gibt es äußerliche, diesseitige, vordergründige Anlässe, die uns daran hindern, Gottes Einladung zu folgen  damals wie heute.

IV.

Da alle abgesagt haben, wendet sich der reiche Mensch den Armen und Verkrüppelten, den Blinden und Lahmen zu. Aber warum erst jetzt? Warum lädt der reiche Mensch nicht gleich die Armen ein, sondern erst, nachdem die anderen abgesagt haben? Er ist zornig, heißt es im biblischen Text, und so gut man das nach all den Absagen verstehen kann: die Armen und Lahmen werden sozusagen als zweite Garnitur, als Ersatzspieler eingeladen. Aber will man als Trostpreis zu einem Fest eingeladen werden? Hat man Lust, die zweite Garnitur für die verständliche Enttäuschung des Gastgebers zu sein? Und es wird ja eher noch schlimmer; denn als der Knecht mitteilt, dass noch Platz am Tisch ist, werden nun die an den Landstraßen und Zäunen genötigt mitzufeiern. Die weit draußen am Rande der Gesellschaft lebenden Menschen werden jetzt gar nicht mehr eingeladen, sondern sie werden genötigt mitzufeiern. „Cogite intrare“ = so heißt es in der Vulgata, der jahrhundertelang gültigen lateinischen Bibel des Abendlandes: nötige sie hereinzukommen! Und mit diesem Satz wurden Zwangstaufen ebenso begründet wie Verfolgungen der Juden und anderen vermeintlichen Häretikern. „Und nötige sie hereinzukommen“, das wurde zu einem fatalen Satz, der katastrophale Folgen für ungezählte Menschen hatte, denn sie erlaubte die Verbindung von Mission und Gewalt. Natürlich kann das Gleichnis vom großen Abendmahl nichts für diesen Missbrauch seines Satzes, aber es gehört zur aufrichtigen Erinnerung bei der Auslegung des Gleichnisses, auch die Schattenfolgen zu nennen.

V.

Zuletzt: Was ist los mit dem Gastgeber: er ist enttäuscht über die vielen Absagen, er ist zornig, aber am Schluss des Gleichnisses fällt er geradezu in eine Art Vergeltungstaumel: „Keiner der Männer, die eingeladen waren, wird mein Abendmahl schmecken!“ Von Vergebung keine Spur, hier tobt sich Vergeltung aus, es dominiert das ius talionis, das do ut des, eine Reaktion, die ja der natürliche Mensch mehr oder weniger selbstverständlich anwendet: Was Du mir tust, das tue ich dir auch. Oder – wie wir als Kinder immer sagten: „Haust du meine Tante, hau ich deine Tante“! Wobei die Tanten diesen Spruch nie gut fanden. Aber Vergeltung ist zugleich die billigste, um nicht zu sagen primitivste Form der Reaktion, denn man macht sich ja völlig abhängig vom anderen und von dem, was er mir getan hat. Es mag sich als gerecht anfühlen, aber im Kern ist es eine Form der Unfreiheit, eine Art schwerer Abhängigkeit, die weit entfernt ist von der Gedanken der Vergebung. Aber aus Vergeltung kann Vergebung werden, gelernt an dem barmherzigen Gott, der nicht straft, sondern vergibt und verzeiht. Man kann und darf sich dies auch als große Kulturleistung des Christentums vorstellen, bei allem Versagen und Scheitern ist Güte und Vergebung neben der Freiheit das große Thema des Glaubens. Dass der Mensch über das ius talionis hinauswachsen kann und Güte und Gnade gewähren kann, das muss man immer wieder neu lernen. Und lernen kann man dieses Vergeben immer wieder neu im Glauben an den Gott, der die Vergebung ist. Der christliche Gott ist durch die Geschichte der Sündenvergebung geradezu definiert als Gott der Gnade, der uns das vergibt, was wir Menschen eigentlich zu geben haben. Dass das Christentum und seine Kirche an dieser Vergebung immer wieder scheitern, dass sie unfassbar rachsüchtig und brutal gewesen sind, dass es leider auch eine „Kriminalgeschichte des Christentums“ mit all seinem Verbrechen und Gewalttaten gegeben hat und gibt, daran erinnern fast täglich die Nachrichten über sexualisierte Gewalt in den Kirchen. Aber zugleich darf man daran erinnern, dass nicht der zornige und Vergeltung suchende Mensch aus dem Gleichnis vom großen Abendmahl des Geist des Christentums allein geprägt hat, sondern auch der andere, barmherzige, gütige Geist der Vergebung, den wir jedes Mal erinnern und zugesprochen bekommen, wenn wir gemeinsam Abendmahl feiern: „Nehmt hin und trinkt alle daraus, dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut zur Vergebung der Sünden …“ – seit Jahrhunderten steht dieser Satz in der Mitte eines Gottesdienstes und das prägt Geist und Gemüt und ist ein Einspruch gegen das so furchtbar naheliegende ius talionis. Gott sei Dank und Amen