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Predigt · 17. Sonntag n. Trinitatis · 9. Oktober 2022 · Pfarrerin i.R. Ruth Misselwitz

Posted on Okt 10, 2022 in Predigten

Jesaja 49, 1 – 6

Liebe Schwestern und Brüder,

der Text, den wir gerade hörten, entstammt den sogenannten Gottesknechtsliedern aus dem Buch des Propheten Jesaja.

Dieses Prophetenbuch ist eingeteilt in drei verschiedene Abschnitte.

Der erste Abschnitt (Kap. 1-39) wird dem Propheten Jesaja vor der babylonischen Exilzeit im 8. und 7. Jahrhundert v.Chr. zugesprochen,

Der zweite Buchteil (Kap. 40-55) wird als Deuterojesaja, also der 2. Jesaja bezeichnet, der in der Exilzeit im 6. Jahrhundert v.Chr. gewirkt hat

und der 3. Teil (Kap. 56-66) wird dem Tritojesaja zugeteilt, der in der späteren, exilisch-nachexilischen Zeit gewirkt hat.

Alle drei hat man dann später dem historischen Jesaja zugeführt.

Die Prophezeiungen des Deuterojesaja gehen an eine kleine Gruppe von jüdischen Exilanten in Babylon, die alles verloren haben.

Jerusalem liegt in Schutt und Asche, der Tempel, die Wohnstätte Gottes ist zerstört, die Gräber der Ahnen liegen weit entfernt,

das Land, das Gott einst Abraham versprochen hat, ist nur noch Geschichte,

die Gegenwart ist trist und hoffnungslos.

Der Prophet Jesaja, etliche Jahre zuvor, hat vor der großen Katastrophe den Zusammenbruch vorausgesagt.

Er hat ermahnt, gewarnt, gerungen mit dem Volk Israel,

doch niemand wollte ihn hören und es ist alles genauso gekommen, wie er vorausgesagt hat.

Nun sind sie Gefangene in einem fremden Land

und schauen zurück und fragen sich, warum das alles so gekommen ist und warum Gott das zugelassen hat.

Und sie stellen fest: weil sie ungehorsam waren, weil sie die Gebote, die ihnen Gott geschenkt hat, nicht eingehalten haben,

weil sie anderen Göttern hinterhergelaufen sind,

weil sie das Recht gebrochen und den Frieden, der ihnen von Gott angeboten wurde, missachtet haben.

Und sie schreiben noch einmal ganz neu ihre Geschichte,

die Geschichte Gottes mit dem Volk Israel.

Und sie verpflichten sich, nur noch dem einen einzigen Gott zu dienen, der sich ihrem Volk in seiner Liebe, in den Gesetzen und der Tradition offenbart hat.

Der strenge jüdische Monotheismas hat hier in den Flüchtlingslagern in Babylon seinen Ursprung.

Menschen, die vom Schicksal geschlagen wurden, schlägt man nicht noch zusätzlich mit Vorhaltungen und Vorwürfen,

So beginnt dann auch der Prophet, den wir Deuterojesaja nennen, mit einem Trostwort.

„Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist, denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des Herrn für alle ihre Sünden.“ (40,1)

Der Gottesmann weiss sich von Gott berufen, dem Volk Israel in seiner Bedrängnis das Heil zu verkündigen.

So hörten wir es am Anfang, wo er erzählt, dass Gott ihn schon im Mutterleibe berufen hat, ihn beim Namen genannt hat,

seinen Mund wie ein scharfes Schwert und ihn selber zu einem spitzen Pfeil gemacht.

Dieser Mensch hat das unerschütterliche Vertrauen in Gott,

dass der Weg, den er in dieser Welt gehen wird, von Gott vorherbestimmt ist,

dass Gott ihn genau für diese Aufgaben, die er bewältigen muss, ausgestattet und gestärkt hat,

dass Gott ihn bei seinem Namen kennt und der Schatten seiner Hand ihn schützen wird.

Dieses Vertrauen in Gott braucht er aber auch dringend,

denn er macht die leidige Erfahrung, dass auch ihn niemand hören will.

“ Ich aber dachte, ich arbeite vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz…“

In diese Depression hinein beruft ihn Gott zu seinem auserwählten Knecht.

Er soll seinem geschlagenen und gedemütigten Volk wieder Hoffnung geben.

Gott will die zerstreuten Stämme Israels wieder sammeln und sie nach Hause in ihre Heimat führen.

Sie sollen die Trümmer Jerusalems beseitigen und den Tempel, die Wohnstätte Gottes, wieder aufbauen.

Gott will sich seinem Volk als der Heiland erweisen, der Gebeugte wieder aufrichtet, Lahme gehend und Blinde sehend macht,

der aus der Knechtschaft befreit und wieder Zukunft schenkt.

Aber damit noch nicht genug:

Gott spricht zu dem Propheten: „Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Völker gemacht, dass du seist mein Heil bis an die Enden der Erde.“

Das gibt dem ganzen nun eine große globale Weite.

Interessant in diesem Text ist ein kleiner Satz, der noch eine ganz andere Dimension eröffnet:

Da sagt Gott zu dem Propheten: „Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich verherrlichen will.“ (V. 3)

Neben dem Propheten, der als Gottesknecht auserwählt wird,

ist hier auch das Volk Israel als Gottesknecht genannt.

Der Gottesknecht hat eine individuelle und eine kollektive Bedeutung.

Er soll das Licht für die Heiden sein, also für alle Völker.

Liebe Schwestern und Brüder,

haben wir es hier nun mit der leidigen Mission zu tun,

in der ein Volk alle Vöker der Welt unterwerfen und dem einen Gott unterordnen will?

Unsere Ohren sind gewöhnt das zu hören,

aber unsere Augen lesen etwas anderes.

Wenn der Prophet von einem scharfen Schwert und einem spitzen Pfeil redet, dann meint er seinen Mund und seinen Leib.

Hier wird nicht mit einem Schwert zugehauen und mit einem Pfeil erschossen.

Hier wird mit Worten klar und eindeutig argumentiert und mit dem Leib etwas vorgelebt.

Hier gilt das Reden und das Tun als vorbildhaftes und beispielgebendes ganzheitliches Leben.

Und dieses ganzheitliche Leben, das im Einklang mit sich und dem Willen Gottes ist, wird zum Licht in der Welt für alle Menschen.

Am Beispiel Israels und am Beispiel eines einzelenen Menschen soll die Welt sehen, das Gott der Heiland der Welt ist.

Liebe Schwestern und Brüder, das ist nun wirklich damals wie heute für so manchen eine Zumutung.

Dieses geschlagene, heimatlose, in babylonischer Gefangenschaft lebende Häufchen Unglück soll der Welt ein Licht sein?

Vor der Katastrophe haben sie nicht auf ihre Propheten gehört,

haben in Saus und Braus gelebt, das Recht gebrochen und ihren Gott verhöhnt.

Haben sich mit den falschen Mächtigen verbündet und jämmerlich den Krieg verloren.

Wie sollen sie denn der Welt ein Licht sein?

Und nun kommt die überraschende Antwort:

Weil Gott euch nicht aufgegeben hat,

er sieht euch in all eurer Schuldhaftigkeit, in all eurer Schwäche und Boshaftigkeit.

Er weiß um eure Unfähigkeit zu lieben, zu dienen, mit den Leidenden zu empfinden und euern Schuldigern zu verzeihen.

Seine Liebe zu euch aber ist stärker als sein Zorn,

seine Barmherzigkeit übersteigt all unsere Vorstellungskraft,

sein Wille euch zu erhalten und zu bewahren

ist stärker als euer Wille zu zerstören.

Das will Gott der Welt zeigen, daran soll sie genesen.

Nicht an eurer vermeintlichen Stärke und Standhaftigkeit,

sondern an der Liebe und der Güte Gottes,

die in und an euch sichtbar werden soll.

Mit dem Einmarsch des Perserkönigs Kyros viele Jahre danach ging die Prophezeiung in Erfüllung.

Die Gefangenen durften wieder in ihre Heimat zurück,

sie haben den Tempel und Jerusalem wieder aufgebaut,

das Volk Israel hat wieder eine neue Zukunft geschenkt bekommen.

Wir wissen, dass das nicht die einzige Katastrophe in der Geschichte Israels war, unzählige, noch viel schlimmere folgten.

Gott aber hat sein Volk nicht aufgegeben, es lebt bis heute.

Liebe Schwestern und Brüder,

nun lasst mich noch zu einem anderen wichtigen Teil dieser Geschichte kommen.

Wir Christen glauben, dass in diesem Gottesknecht Jesus zu erkennen ist. Wir glauben, dass er der ersehnte Messias ist, den die Propheten damals angekündigt haben.

Durch ihn haben wir, die Heiden, Zugang zum Volk Gottes und zu seiner Erlösung.

Durch die Taufe werden wir aufgenommen in das Volk Gottes.

Das ist Geschenk aber auch Verpflichtung.

Wenn Jesus sagt, ihr seid das Salz der Erde und das Licht der Welt, dann meint er genau das, was der Prophet Jesaja seinem Volk zusprach.

An uns soll die Welt erkennen, dass Gott ihre Rettung und Genesung will.

Durch uns soll die Liebe, die Barmherzigkeit und die Gnade Gottes sichtbar werden.

Auch und gerade in Zeiten, die von Hass und Gewalt gezeichnet sind, wird unser zeichenhaftes Leben besonders gebraucht.

Da wird von uns das Zeugnis zur Gewaltlosigkeit, zur Feindesliebe und zur Barmherzigkeit abverlangt.

Das ist nicht unbedingt mit Erfolg gekrönt,

es kann uns in Isolation, Verspottung bis hin zu Verfolgung führen.

Der Weg Jesu war auch nicht mit Rosen gebettet.

Gewiss aber dürfen wir sein, dass Gott uns treu ist, wenn auch wir ihm treu bleiben. Amen.