Predigt · Sonntag Jubilate · 11. 5. 2025 · Thies Gundlach
Liebe Gemeinde,
gibt es jemanden unter uns, der den Namen des neuen Papstes nicht kennt?
Man kann mit Herzblut Protestant sein und dennoch eingestehen: Papsttod und Papstwahl – das sind die letzten großen Lagerfeuer, um die sich die ganze Welt sammelt – außer vielleicht noch die Fußballweltmeisterschaft. Dieses weltumspannende Lagerfeuer hat sicher auch mit dem archaischen Ritual zu tun, mit dem ein Papst gewählt wird – verborgen, abgeschieden und total ergebnisoffen. Wenn man es vergleicht mit der jüngsten Bundeskanzlerwahl, ist man doch versucht zu sagen; es bedarf eines politischen Konklave! Die Abgeordneten des deutschen Bundestages dürfen erst dann wieder Tageslicht sehen, wenn ein Bundeskanzler gewählt ist. Allerdings gilt auch: Immerhin brauchte der Bundeskanzler nur zwei Wahlgänge, der neue Papst vier!
Natürlich ist zur Papstwahl schon alles gesagt, nur noch nicht von mir, deswegen: Leo XIV kam ja wie „Kai aus der Kiste“! Hinterher behaupteten viele Vatikanisti, sie hätten ihn im Visier gehabt, aber faktisch ist der Amerikaner nirgends Favorit gewesen. Und das spricht für das Verfahren: 133 Kardinäle gehen rein in die Sixtinische Kapelle und niemand kann sagen, wer als Papst rauskommt. Ich bin bereit, darin eine verborgene Weisheit des Hl. Geistes zu sehen: Pass-Amerikaner ja, aber weltweit gebildeter Augustiner, Missionar in Peru und – m.E. entscheidend – zuletzt 2 Jahre lang Personalchef des Vatikans. D.h. er hat jede Bischofsernennung und jede Kardinalerhebung für Franziskus vorgeschlagen und bereitet – mehr Bekanntheit und Einfluss in einer Behörde kann man kaum haben. Und: Leo XIV. scheint ein feiner, nachdenklicher, suchender Konservativer zu sein, auf den Spuren Franziskus ja, aber nicht so laut, nicht so widersprüchlich. Auch wir Protestanten wünschen Leo XIV. Gottes Segen und Geleit, und zwar nicht nur, weil er unsere Wünsche erfüllen soll, sei es in der katholischen Frauenfrage, sei es beim „Synodalen Weg“ oder der Ökumene. Sondern weil er als großer Brückenbauer, als pontifex maximus, seine katholische Kirche zugleich zusammenhalten und ins 21. Jh. bringen soll – eine gigantische Aufgabe, die er nur mit Weisheit und Mut, Klugheit und Zuversicht wird bewältigen können.
I.
Und mit diesem Wunsch bin ich beim heutigen Predigttext angekommen. Es ist ein besonderer Text aus dem AT, der uns entführt in einen Textbereich der Bibel, der weitgehend unbekannt ist und selten im Gottesdienst vorkommt. Die „Sprüche Salomons“ oder auch „Proverbien“ sind in der Bibel nicht ganz leicht zu finden, sie stehen nach den Psalmen noch vor den vier großen Propheten. Und: Die Bibel kann eben auch in ungeahnter Weise „Sprüche klopfen“, also gedrängte, gereimte, verdichtete Verse, die Sentenzen der Weisheit formulieren. Wobei diese Weisheiten irgendwie auch zeitlos sind, natürlich nicht alle, aber viele:
Z.B, werden die meisten von uns den Spruch kennen: „Wer (anderen) eine Grube gräbt, der wird hineinfallen; und wer einen Stein wälzt, auf den wird er zurückkommen!“ (Spr 26,27) oder auch: „Wer zugrunde gehen soll, der wird zuvor stolz; und Hochmut kommt vor dem Fall.“ (Spr 16,18). Und viele Sprüche sind durchaus gegenwartstauglich!
Z.B. für unsere gegenwärtige politische Situation aufgeschrieben ist der Satz: „Unter den Übermütigen ist immer Streit; aber Weisheit ist bei denen, die sich raten lassen.“ (Spr 13,10). Oder als Beitrag zur amerikanischen Politik dieser Tage: „Ein Kluger tut alles mit Vernunft; ein Tor aber stellt Narrheit zur Schau.“ (Spr 13,16 )Es gibt auch wunderbar kluge, nachdenkliche Hinweise, die sich als Aufforderung und Mahnungen bis heute gut lesen und hören lassen: „Gerechtigkeit erhöht ein Volk; aber die Sünde ist der Leute Verderben“ (Spr 14, 34). Oder auch: „Wer dem Geringen Gewalt tut, lästert dessen Schöpfer; aber wer sich des Armen erbarmt, der ehrt Gott.“ (Spr 14, 31). Wunderschön klug ist auch folgender Vers: „Ein hörendes Ohr und ein sehendes Auge, die macht beide der Herr.“ (Spr 20,12). Oder: „“Die Augen des Herrn behüten die Erkenntnis; aber die Worte des Verächters bringt er zu Fall.“ (Spr 22, 12) Allerdings müssen wir bei der Suche nach treffenden und aktuellen Weisheits-Sentenzen aus den Proverbien gar nicht in die politisch-staatliche Ferne schweifen, für jeden von uns ist etwas dabei: „Ein Fauler wendet sich im Bett wie die Tür in der Angel.“ (Spr 26,14), wobei natürlich Anwesende ausgenommen sind, schon weil sie ja alle um 10 Uhr hier waren. Schön formuliert ist auch folgender Vers: „Das gestohlene Brot schmeckt dem Manne gut; aber am Ende hat er den Mund voller Kieselsteine.“ (Spr 20,17). Und es gibt ganz persönliche Hinweise für uns älter werdende Gemeinde: „Graue Haare sind eine Krone der Ehre“ (Spr 16,31), das muss ja auch mal gesagt sein! Natürlich gibt es in den Sprüchen auch viel zeitbedingten Unsinn, der uns heute schwer zu lesen ist: z.B.: „Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten.“ (Spr13, 24) Oder auch: „Ein törichter Sohn ist seines Vaters Herzeleid; und eine zänkische Frau ist wie ein stetig tropfendes Dach!“ (Spr 19,13) Von diesem Typus Sätze gibt es reichlich, ein Emanzipationstext sind die Sprüche Salomons nicht.
II.
Doch ist der Grundgedanke der Proverbien schlicht und klar: “Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Erkenntnis; (nur) die Toren verachten Weisheit und Zucht“ (Spr 1,7). Der Fromme, der Glaubende erkennt die Wahrheit und Weisheit all dieser Sprüche und lebt daher im Einklang mit der Welt, ihren Gesetzmäßigkeiten und Regel. Im Gegensatz zum Toren, der die Weisheit missachtet und darum kurz und dumm, egoistisch und schändlich lebt. Die Weisheit ist eine Art innerweltliche, diesseitige Frömmigkeit, die sich orientiert am Erfahrungswissen der damaligen Zeit, wobei diese Spruchweisheiten keineswegs allein auf Israel begrenzt waren oder gar von Israel allein erfunden wurden. Die meisten Einsichten stammen aus der ganzen damaligen Welt, sie sind gleichsam universell, sie sind das „Grundgesetz“ eines vernünftigen Lebensstils, eine Art „Knigge“ der damaligen bürgerlichen Welt, die „lingua franca“ des vernünftigen Handelns und Urteilens. Und unser Predigttext für den heutigen Sonntag „Jubilate“ erläutert und erklärt uns, warum es klug und lebensförderlich ist, den Weisheiten zu folgen: Denn die Weisheit war von Beginn an in der Schöpfung eingebaut; genau das erzählt der Predigttext aus dem 8. Kapitel der „Sprüche Salomons“:
22Der Herr hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her. 23Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war. 24Als die Tiefe noch nicht war, ward ich geboren, als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen. 25Ehe denn die Berge eingesenkt waren, vor den Hügeln ward ich geboren, 26als er die Erde noch nicht gemacht hatte noch die Fluren darauf noch die Schollen des Erdbodens. 27Als er die Himmel bereitete, war ich da, als er den Kreis zog über der Tiefe, 28als er die Wolken droben mächtig machte, als er stark machte die Quellen der Tiefe, 29als er dem Meer seine Grenze setzte und den Wassern, dass sie nicht überschreiten seinen Befehl; als er die Grundfesten der Erde legte, 30da war ich beständig bei ihm; ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit; 31ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern. 32So hört nun auf mich, meine Söhne! Wohl denen, die meine Wege einhalten! 33Hört die Zucht und werdet weise und schlagt sie nicht in den Wind! 34Wohl dem Menschen, der mir gehorcht, dass er wache an meiner Tür täglich, dass er hüte die Pfosten meiner Tore! 35Wer mich findet, der findet das Leben und erlangt Wohlgefallen vom Herrn. 36Wer aber mich verfehlt, zerstört sein Leben; alle, die mich hassen, lieben den Tod.“
Die Weisheit hat von Beginn an die Schöpfung Gottes mitgeprägt, sie gibt dem Leben eine Struktur, ein Format, ein Gerüst, in dem dann das Leben der Menschenkinder gelingen kann – oder eben nicht wie bei einem Toren. Wir müssen uns das vorstellen parallel zu den physikalischen Grundgesetzen des Lebens, die die Voraussetzung und Basis alles Lebens sind (also für Interessierte: die schwache und starke Kernkraft, die Gravitation und die Lichtgeschwindigkeit); nur geht es jetzt nicht um Physik, sondern um Psyche, also um die ganz alltägliche, diesseitige, menschliche Erfahrungsebene.
III.
Hilft uns diese Weisheit des Alltages? Natürlich nicht 1 : 1 oder direkt; wohl aber als Lebensmaxime, denn wir leben in einer Welt, in der es zwar unendlich viele Informationen gibt, aber immer weniger Wissen und kaum noch Weisheit!. Die Medien-Netze sind voll von unbedachten, dummen, skandalisierenden, angeberischen, verborten und brutalen Aussagen, aber eben auch von unendlich vielen banalen, belanglosen, unwichtigen Reels und Bildchen, die uns nur die Zeit und langfristig auch den Verstand klauen. Die sozialen Medien eigenen sich nicht für weisheitliche Nachdenklichkeit und fragende Demut; daher muss man nüchtern einräumen: Die sozialen Medien sind ein Feld für Toren!
Denn die Weisheit des Lebens, die schon beim Beginn der Schöpfung Gottes zu seinen Füssen gespielt hat und schon vor allem Werden die Gesetze und Regel zwischen Weisheit und Torheit festgelegt hat, diese Weisheit ist nicht allein das weibliche Prinzip am Anfang, das die reinen Männerdominanz in der Schöpfungserzählung durchbricht. Sondern sie gibt auch den Ton an für all jene Haltungen, Einsichten und Formate, die sich für einen weisen Menschen nahelegen: Ein hörendes Herz, ein Herz also, dass auch die Tiefe und Not des anderen wahrzunehmen vermag; ein demütiges Ohr, das nicht Recht behalten will, sondern verstehen möchte; und ein nachdenklicher Glaube, der Gottesfurcht nicht fordert und Frömmigkeit nicht erzwingen will, sondern Gottes Verborgenheit, Gottes Geheimnis und Gottes Unverfügbarkeit auch achten und respektieren kann. Ein suchender Verstand, der nicht wie ein Tor vor lauter fixen Lösungen das Problem nicht mehr erfasst, sondern ein fragender Geist, der weise und ohne Gier nach Glück und Liebe Ausschau hält, ohne sie erzwingen oder erkaufen zu wollen.
Wir leben mit zu vielen Informationen, mit immer weniger Wissen und kaum noch mit Weisheit. Und nicht nur Papst Leo XIV, sondern wir alle tun klug daran, jene Weisheit in unseren Glauben einzuziehen zu lassen, den die Sprüche Salomons so benennen:
„Wer sich (allein) auf seinen Verstand verlässt, ist ein Tor; wer aber in der Weisheit wandelt, der wird entrinnen.“ (Spr 28, 26). Jubilate und Amen!