Predigt · 4. Sonntag vor der Passionszeit · 9. 2. 2025 · Thies Gundlach
Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus
Amen
Liebe Gemeinde,
waren Sie schon einmal in der Kathedrale von Chartres? Oder in einer der vielen englischen Kathedralen? Oder kennen Sie das Buch von Ken Follet „Säulen der Erde“, das den Kathedralbau im Hochmittelalter in eine spannende Geschichte verpackt? Lohnt sich jedenfalls!
Kathedralen sind auf das Staunen angelegt! Man betritt sie und wird überwältigt von ihrer schieren Mächtigkeit, und man staunt über die unendlich vielen Fenster zum Himmel und die Türen zu Gebetsräumen, man staunt über die aufstrebenden Dimensionen, die jeden Blick nach oben in die Himmelssphären ziehen, und man ist völlig verblüfft über die ungezählt vielen Seitenaltäre und imposanten Epitaphe und Figuren, die an den Wänden entdeckt werden können. Kathedralen sind auf`s Staunen angelegt! Sie wollen imponieren und immer wieder neue Entdeckungen zulassen, die uns auch nach dem einhundertsten Besuch verblüffen können.
I.
So ähnlich müssen Sie sich auch das große Glaubensbekenntnis des Nizänum- Konstantinopolitanum vorstellen! Im Jahr 325 hat das 1. Ökumenische Konzil von Nizäa, eine kleine Stadt in der Nähe der heutigen Metropole Istanbul, getagt, und unter der Leitung Kaiser Konstantins haben die Bischöfe der damaligen Zeit dieses Bekenntnis, diese Feststellungen über den christlichen Gott mehrheitlich beschlossen. Wenn wir es sprechen, betreten wir gleichsam eine Kathedrale des Glaubens, einen Raum, der imponieren und unseren Blick in die Höhe ziehen will. Eine Kathedrale der Entdeckungen, auch noch nach dem einhundertsten Besuch. Glaubensbekenntnisse sind in Worte geronnene Kathedralen eines Glaubens, der ungezählte Generationen und ungezählte Vorstellungen in sich beherbergt. Denn natürlich: die Worte des Nizänums werden seit genau 1700 Jahren gebetet, aufgesagt, auswendig gelernt, in Hochzeiten und Niederlagen gesprochen, in Angst und Triumph, in Verzweiflung und Befreiung gebetet als Worte, die gleichsam die Adresse unserer Sehnsucht nennen. Gott, Vater, Sohn und Hl. Geist. Denn eines ist ja mit Händen zu greifen: Texte, die seit 1700 Jahren die Bekenntnis-Grundlage fast aller christlichen Kirchen der Ökumene sind, solche Texte werden sehr sehr unterschiedlich verstanden. Die Menschen zur Zeit der Abfassung des Nizänums hatten völlig andere Fragen und Verstehenshorizonte gehabt als die Menschen im Frühmittelalter um 1000, und diese wieder andere als Menschen in der Aufklärung um 1700, und diese wiederum anders als Menschen in unseren Tagen usw. Und selbst in unseren Tagen dürfte sich die Vielfalt der Verständnisse des Nizänums allein zwischen orthodoxen und reformatorischen Kirchen sehr weit spannen; und nicht zu leugnen wären vermutlich die Differenzen zwischen uns hier im Raum, falls wir gefragt werden würden, wie wir denn diese Worte je und je verstehen. Vor Kurzem habe ich einen Text mit der These gelesen, dass gerade dieses vielfältige Verstehensmöglichkeiten entscheidend für den Zusammenhalten der Christen war, denn wer die Auslegung des Credos definieren wolle, müsse exkludierend vorgehen und – was in jüngster Zeit auch in der Politik stilbildend wird – alternativlose Auslegung vorlegen nach dem Motto: „Friß Vogel oder stirbt“. So aber hält man weder die Ökumene zusammen noch die Gesellschaft!
II.
Doch bei aller Vielfalt des Verständnisses durch die Jahrhunderte und die Individuen – das Nizänum-Konstantinopolitanum bedeutet auch nicht irgendwas; es ist nicht beliebig, sondern vielfältig, es ist nicht willkürlich, sondern vieldeutig, Das Nicänum hat eine Grundtonlage, eine fundamentale Ausrichtung, eine Art unbestreibare Basisbedeutung, die zu erfassen jedenfalls für uns Christen so etwas wie Halt und Geländer sein sollte. Es ist, als würden wir uns über die „Säulen des Glaubens“ verständigen, also über die Dimensionen, die das ganze Gebäude des christlichen Glaubens stützen. Sie stehen irgendwie auch nicht zur Disposition, weswegen es bei Paulus – wie vorhin vorgelesen – auch heißt: „So steht nun fest und haltet euch an die Überlieferungen …“ (2 Thess 2, 15). Es gibt im Glauben auch so etwas wie Vorgaben oder Festsetzungen, die gleichsam den Rahmen bilden dessen, was wir unter christlichem Glauben verstehen. Natürlich kann ich jetzt nur ein paar der tragenden Säulen anklingen lassen, wir bräuchten eine ganze Predigtreihe, um es wirklich intensiv auszulegen; aber einige Grundsätze deute ich an:
III.
1. Jedes christliche Bekenntnis ist dreigliedrig: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Diese Trinität des Göttlichen ist unser Erkennungszeichen, unsere Identity, darin unterscheiden wir uns nicht nur von unserer Wurzel, dem Judentum, sondern auch vom Islam, vom Buddhismus und von allen anderen Religionen. Wir bekennen so einen in sich dynamischen Gott, einem Gott, der nicht unveränderlich irgendwo im Jenseits des Nirgendwo wohnt, sondern der Geschichte verändert, der diesseitig werden kann, der sich selbst verändern kann. Und das Nizänum ist gleichsam die „Kurzgeschichte“ dieses lebendigen, beweglichen Gottes. Es gab mal ein italienisches Buch mit dem Titel: „Gott – eine Biographie, von ihm selbst erzählt“. Inhaltlich war es eine Nacherzählung der Bibel. Ist zwar locker formuliert, aber trifft den Punkt. 1. Fazit: Laut Nizänum ist der christliche Gott kein Fatum, kein anonymes Schicksal, kein Abstraktum.
2. Alle drei Dimensionen Gottes sind gleich viel wert: Vater, Sohn und Hl. Geist! Es gibt – und das ist der zentrale Punkt des Nizänums – keinen Unterschied in der Göttlichkeit zwischen Vater und Sohn, zwischen Gott und Jesus Christus. Sie sind wesensgleich, heißt es, und gemeint ist: Christus ist nicht gemacht oder nachträglich hergestellt (`gezeugt, nicht geschaffen´), er ist wahrer Gott vom wahren Gott. Enger kann man die beiden nicht zusammensehen! Das war deswegen auch die Stelle, an der es vor 1700 Jahren erhebliche Verwerfungen gab. Denn die sog. „Arianer“ wollten partout nicht zustimmen, dass Gott in Jesus Christus ganz und gar präsent sei, weil dann ja gesagt werden muss, dass Gott selbst leidet und am Kreuz stirbt. Das war für sie undenkbar und unfassbar. Für das NIzänum aber ist allein dieser unverbrüchliche Zusammenhang zwischen Gottvater und Sohn die Garantie, dass die Erlösung in Jesus Christus auch eine vollständige und unhinterfragbare, eine ewig verlässliche und unzerstörbare Erlösung ist. Denn die Sorge, dass Gott noch einmal anders über die Glaubenden urteilen könnte als Christus selbst, das drohte als tiefste Verunsicherung. 2. Fazit: Laut Nizänum kann und darf nichts die seelsorgerliche Gewissheit der Erlösung in JC verunsichern.
3. Sind Gott und Sohn wesensgleich, dann ist die Schöpfung auch gleichsam christusförmig; er war von Anfang an dabei und also ist alles „durch ihn geschaffen“. Jesus Christus ist ebenfalls Schöpfergott, wobei es damals vor 1700 Jahren um Christus als den Logos ging, also um die Sinnstruktur des Lebens, die in ihm sichtbar wurde. Heute würden wir festhalten, dass ein Leben in der Nachfolge Jesu Christus lebensdienlich sei, weil es der Schöpfung entspricht.
Die Wesensgleichheit zwischen Vater und Sohn weist zugleich darauf hin, dass der Mensch Jesus aus Nazareth nie ohne den zur Welt gekommenen Christus gedacht werden sollte. Eine reine Jesuologie, eine reine Nachfolge des in den Evangelien beschriebenen, frommen Mannes aus Nazareth verkürzt die Christusdimension und macht Jesus zu einer Art weltlichen Vorbild, einem Helden der Barmherzigkeit oder einem Vorreiter aller Befreier. Aber Jesus allein ist kein Glaubensgegenstand, ohne seine Göttlichkeit reduzieren wir ihn auf eine berühmte innerweltliche Persönlichkeit, wie es auch das Judentum und der Islam tun. 3. Fazit: Laut Nizänum ist der Mensch Jesus nur mit dem Schöpfergott Christus vollständig gedacht.
4. Alle drei Personen der Trinität haben eine sichtbare und eine unsichtbare Welt erschaffen! Damals lag es auf der Hand, dass es „Engel, Mächte und Gewalten“ gab, die uns Angst machen können – wie es bei Paulus heißt. Wir sind heute sehr schnell bereit, die unsichtbare Welt für abgeschafft zu erklären. Wir glauben nur noch, was man sehen, prüfen und berechnen kann, – und genauso sieht unsere Welt auch aus. Und man muss nicht esoterisch oder theosophisch angehaucht sein, um darauf zu bestehen, dass es unter Gottes Sonne mehr gibt als allein das mathematisch-physikalisch Berechenbare. Mir geht es jedenfalls so, dass ich sowohl im Kleinesten bei den subatomaren Kräften wie im Größten bei den kosmischen Dimensionen immer wieder so ins Staunen gerate, weil schon im Urknall eine geistliche, spirituelle Dimension angelegt sein muss. Denn irgendwo zwischen Photonen und dunkler Materie, irgendwo zwischen Lichtgeschwindigkeit und dunklen Löchern muss die Möglichkeit angelegt sein, dass Johann Sebastian Bach eine Matthäuspassion und Wolfgang Amadeus Mozart ein Requiem zum Trost und Stärkung des Glaubens komponieren konnten. Aber das wäre nun eine andere Predigt! 4. Fazit: Laut Nizänum sollten wir Glaubende uns das Staunen über alles, was wir nicht gleich sehen, erkennen und berechnen können, niemals nehmen lassen.
5. Der Hl. Geist ist die Gegenwart Gottes in unseren Herzen. Das Nizänum hält fest, dass dieser Geist von Vater und Sohn gemeinsam ausgeht, es also auch hier keine Unterscheidung innerhalb Gottes geben soll. Diese Formulierung „und dem Sohn“ ist zwischen den Ostkirchen und uns schwer umstritten und führte u.a. 1052 zur Spaltung in Ost- und Westkirchen. Was hängt daran? Es soll die Gegenwart Gottes in unseren Herzen und Sinnen, in Seelen und Verstand nicht getrennt werden können von der Gegenwart des Geistes Jesu Christi. Die Westkirchen haben darauf bestanden, dass man Gottes Gegenwart im Glauben nicht an Christus vorbei, nicht ohne ihn erfassen kann, weil sonst alle möglichen Geister plötzlich für Gott gehalten werden. Und dass dies eine reale Gefahr ist, kann man immer dort sehen, wo der christliche Gott dann ersetzt wird durch „ein Schicksal“ oder „ein Zufall“ oder „eine Bestimmung“. Immer dann ist Christus gleichsam aussortiert und kann nicht mehr Kriterium sein für Gottes Gegenwart in unseren Herzen. Aber immer wenn sich jemand auf Gott beruft und sich erwählt weiß durch Zufälle des Lebens, immer dann fehlt die Wahrheit und Güte, die Gerechtigkeit und der Trost Christi als Orientierung. Und das merkt man dann sehr schnell auch in den Handlungen und Dekreten, die von diesem vermeintlich von Gott Erwählten ausgehen. 5. Fazit: Laut Nizänum sichert das „filioque“ die christuskontrollierte Gegenwart Gottes im Leben.
IV.
Liebe Gemeinde, nun könnte ich Sie noch eine ganze Zeit mit diesen Auslegungen beschäftigen, aber im Ernst frage ich zuletzt: Müssen wir das eigentlich alles glauben? Wie ergeht es Ihnen, wenn Sie an einem Sonntag Ihrer Wahl alle diese Sätze aufsagen?
Natürlich kann und darf jede*r auch ohne diese Traditionsbestände glauben und charismatisch Gottes Gegenwart unmittelbar in seinem Geist behaupten, aber für uns ist die Orientierung an dem Überlieferten konstitutiv. Zugleich aber muss natürlich niemand von uns alles glauben, jedes Wort übernehmen und für jede Wendung geradestehen. Manches bleibt unserer Generation eben unverständlich und wirkt vielleicht sogar abseitig; aber wehe dem, der die Aussagen streichen und zurechtstutzen will auf das uns Verständliche. Ich denke bei dem gemeinsamen Aufsagen des Glaubensbekenntnis immer an ein großes Dach, dass wir alle gemeinsam durch die Zeiten und Generationen tragen, wobei ich selbst nur an einer Stelle ein kleines Stückchen Dach mittrage. Wir glauben alle gemeinsam an den christlichen Gott, ich muss gar nicht das ganze Dach ganz allein tragen. Es sind so viele andere vor mir und neben mir und nach mir, die mittragen und die einen ganz anderen Teil des Credos zu tragen in der Lage sind. Aber gemeinsam tragen wir dieses eine Dach, dieses eine Fundament, dieses Nizänum-Konstantinopolitanum.
und es trägt uns durch all die Jahrhunderte, durch all die Jahre, durch alle Hoch- und Tiefzeiten, Gott sei Dank und Amen.