Predigt · 4. Advent · 22. 12. 2024 · Jes Möller
Liebe Gemeinde,
Ihr seid meine Freude. Ihr seid meine ganze Freude, schreibt Paulus im Philipperbrief an die Gemeinde in Philippi. Paulus ist im Knast, mal wieder. In Philippi, in der von ihm gegründeten Gemeinde, der ersten Gemeinde in Europa, hatte man für ihn Geld gesammelt und Paulus bedankt sich. 16 mal in seinem Brief kommt das Wort Freude vor.
Typisch, dass in einer Prüfung für einen Theologen einmal folgendes passiert sein soll: Bibelkunde, Thema Philipperbrief. Der Student soll sagen, was in dem Brief steht. Aber Prüfungsblackout! Er erinnert sich nur, dass der Brief auch Freudenbrief genannt wird und so weiß er sich erst einmal zu helfen „Freuet euch“, stimmt immer bei diesem Brief. Als der Prüfer nachfragt, ob er nicht doch noch etwas mehr wisse, sagt der Prüfling: „Tja, äh, abermals sage ich, freuet euch“. Nicht ganz falsch, aber das Entscheidende fehlte. Ich werde ihnen in der Predigt gleich erläutern, warum.
Sie ahnen es, unser Predigttext steht im Philipperbrief, wir haben ihn eben schon einmal als Epistel gehört: Ich lese Ihnen in der neuen Lutherübersetzung.
Freuet euch in dem Herren allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe! Sorgt euch um nichts, sondern im allen Dingen lasst eure Bitten im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden! Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.
Liebe Gemeinde,
freuet euch, und abermals sage ich, freuet euch! Das klingt fast so, als sei gar keine Predigt nötig. Weihnachten steht vor der Tür, endlich einmal Zeit finden, alles, was bedrängt und was uns sorgt, soll nun hinter uns liegen. Zeit für Freude! Und könnte man nicht daraus ein Motto für sein ganzes Leben machen: Freut euch allewege, freut euch einfach immer. Don’t worry, be happy, wie es in einem ziemlich bekannten amerikanischen Lied heißt? Gewöhnt euch das Sorgen doch einfach ab, und kommt zu einer positiven Lebenseinstellung, die Frieden und Glück bringt! Einfach immer seine gute Laune behalten, sich immer und über alles freuen und alles wird gut!
Ich fürchte, so einfach ist es nicht mit solchen Vorhaben. Schlimme Ereignisse in unserem Leben sind durch noch so positives Denken auf Dauer nicht wegzubekommen.
In einem Popsong versucht es etwa der Chemnitzer Felix Kummer, Frontmann der Band Kraftklub:
Ich wär‘ gerne voller Zuversicht
Jemand, der voll Hoffnung in die Zukunft blickt
Der es schafft, all das einfach zu ertragen
Ich würd‘ dir eigentlich gern sagen
Alles wird gut
Die Menschen sind schlecht und die Welt ist am Arsch
Aber alles wird gut
Das System ist defekt, die Gesellschaft versagt
Aber alles wird gut
Dein Leben liegt in Scherben und das Haus steht in Flammen
Aber alles wird gut
Fühlt sich nicht danach an, aber alles wird gut
Der Sänger will aufrichten, will trösten, aber es klingt etwas hilflos. Wie pfeifen im Walde.
Wenn wir den Vers so verstehen: „Freuet euch immer, und nochmal: freuet euch“ , dann ist er vielleicht geeignet für einen Zettel in einem chinesischen Glückskeks. Als Lebensmaxime taugt er nicht.
Und doch: Sogar Luther sagt, die Freude ist der Doktorhut des Glaubens? Warum denn das?
Weil es heißt „Freut euch im Herrn allewege“. Dreh- und Angelpunkt des Textes, entscheidend für die Auslegung sind die Worte „im Herrn“. Wer nur, wie unserer Prüfling, „freuet euch“ sagt, der lässt die entscheidende Pointe weg.
Das kann leicht passieren. Denn der Text, geprägt durch seine überbordende Freude, führt fast ein wenig in die Irre. Denn wenn wir nur flüchtig lesen, dann lesen wir, freuet euch über den Herrn. Denn wir freuen uns über ein Geschenk, über einen schönen Morgen usw. Man freut sich über etwas. Und deshalb hören wir unwillkürlich: Freuet euch über den Herrn.
Manchmal kann man auch sagen „an“, ich freue mich an meinen Kindern, ich freue mich an der tollen Landschaft. Das steht dort aber nun einmal nicht. Wir sollen uns nicht über Christus freuen, wir sollen uns auch nicht an Christus freuen, wir sollen uns in dem Herrn freuen.
Warum das? Vielleicht einfach schludrig übersetzt?
Nein, ganz und gar nicht. Im Neuen Testament wird die Formel „in Christus“ sein, oder „in dem Herren sein“ ganz häufig verwandt. Die Wendung ist geradezu eine theologische Formel, die ganz viel komprimiert.
Einige Beispiele: Ist jemand in Christus so ist der eine neue Kreatur. Das alte ist vergangen, siehe Neues ist geworden, so im 2. Korintherbrief. Oder im Römerbrief: So ist keine Verdammnis für die, die „in Christus Jesus sind“. Oder verbunden mit dem Freudenthema am 1. Timotheusbrief „Freuet euch alle Zeit. Denn das ist Gottes Wille für euch in Christus Jesus“.
Was könnte diese Chiffre bedeuten? Lassen Sie mich ein klein wenig ausholen.
Paulus glaubt nicht, wir glauben nicht an Jesus als Vorbild. Dann könnten wir ihn ohne weiteres in einer Reihe mit herausragenden Menschen stellen, mit Martin Luther King, Mahatma Gandhi, Sokrates und und und. All diese sind ein Beispiel dafür, wie wir leben sollen, individuell und in unserer Beziehung zu anderen Menschen. Über solche Menschen können und sollen wir uns freuen. Wenn wir Jesus nur als Menschen sehen, dann könnten wir uns auch über ihn freuen. War ein super Typ.
Wir aber glauben an Jesus Christus, der Sohn Gottes war und ist, Licht von Licht, wahrer Gott von wahrem Gott. Wir glauben, dass in Christus sich Gott uns Menschen zugewandt hat, und das in einer freundlichen Art und Weise, sodass auch wir uns ihm zuwenden können, völlig einerlei, wer wir sind. Im Christentum geht es um diese wechselseitige Zuwendung und geht es um Erlösung. Daran müssen wir immer mal wieder erinnert werden, auch unsere Kirche, damit unser Glaube nicht zu einer Art Glückskeksphilosophie mit netten Sprüchen, klugen Ratschlägen und tollen Vorbildern wird. Wir Christen reden aber von Jesus, weil es im Christentum um etwas geht, was die Menschen allein nicht hinbekommen. Und von Gott, der dies weiß, und der es deshalb in seine eigenen Hände nimmt.
Und wenn wir glauben, das Gott dies in unserem Leben getan hat, dass Gott unser Leben in seine Hände genommen hat, dann sind wir „in Christus“. Dann ist das alte vergangen, dann sind wir neue Menschen, oder sogar mehr, dann bin ich eine neue Kreatur. Wenn ich euch zurufe, freut euch „im Herrn“ zu sein, dann heißt das, freut euch, dass ihr „in“ Christus seid. Freut euch, dass er jeden von euch umgibt wie ein wärmender Mantel, wie ein Schutzraum oder ein Kraftfeld, in dem ihr seid.
Aber selbst diese Bilder treffen es nur ungenau. Mit Christus umgibt uns ja eine personale Beziehung, ein ganz enges Miteinander. „In“ jemand sein, in einem du sein, in einem personalen gegenüber: Was könnte das sein? In einem anderen Menschen sein im wahrsten Sinne des Wortes kennen wir nur in einer Situation: Bevor ein Kind geboren ist, ist es in seiner Mutter, die Mutter und die Liebe seiner Eltern umgeben es wie ein Schutzraum, aber noch viel mehr: Das Kind wird ernährt, hört die Stimme der Mutter, den Herzschlag. Das Kind kann sich in ihr freuen. Passend, dass wir heute im Evangelium die Geschichte gleich zweier schwangerer Frauen gehört habt und davon, wie ein Kind im Leib hüpft.
Wenn ihr in Christus seid, seid ihr wie ein Kind in seiner Mutter, seid ihr in einer innigen, personalen, ja intimen Beziehung, auf die ihr euch immer und ganz verlassen könnt. Dann könnt ihr, ohne es zu wissen, den Herzschlag Gottes hören, dann bewegt er euch, euer gesamtes Leben, dann könnt ihr ohne Sinn und Verstand boxen und strampeln, ohne dass das Übel genommen wird. Im Gegenteil.
Und deshalb bedeutet „freuet euch in dem Herren“, dass wir uns freuen, weil wir in dem Herrn leben und sind. Wenn wir in Christus sind, dann ist er uns nahe.
Im Predigttext steht es ja auch! Und abermals sage ich euch, freuet euch, der Herr ist nahe.
Und das bedeutet nicht, es dauert nicht mehr lange, nun noch ein wenig warten, dann ist Weihnachten, bald kommt er, sondern es meint, wenn wir in Christus sind, dann ist der Herr uns schon jetzt ganz nah. Theologisch gesprochen: Präsentische Eschatologie. Die traditionelle Endzeiterwartung konzentriert sich ganz in eine gegenwärtige Erfahrung des Glaubens.
Bach drückt es im Weihnachtsmoratorium so aus: In der fünften Kantate gibt es ein Terzett. Zwei Stimmen, Sopran und Tenor, fragen: Ach, wann wird die Zeit erscheinen? Ach, wann kommt der Trost der Seinen? Und dann werden sie immer wieder unterbrochen durch die dritte Sängerin, die Altistin: Schweigt, er ist schon wirklich hier! Aber Sopran und Tenor lassen sich nicht beeindrucken und fragen immer weiter, wann es endlich soweit ist: Jesu, ach so komm zu mir. Bis der Alt wieder unterbricht und singt, er ist schon wirklich hier, und das meint: mit eurem Warten liegt ihr völlig daneben. Aber Bach würde nicht der fünfte Evangelist genannt werden, wenn es das schon wäre: die ganze Zeit begleitet eine Violine solistisch und man kann es förmlich hören: er ist die ganze Zeit, die ganze Zeit schon da. Aber zwei der drei hören es einfach nicht.
Eure Güte lasst kund sein alle Menschen, schreibt der Apostel weiter. Mit Güte wird aus dem Griechischen ein Wort übersetzt, welches kaum übersetzbar ist und so gehen die unterschiedliche Übersetzungen hier auch kunterbunt durcheinander. Güte trifft es jedenfalls nur zu einem Teil. Das griechische Wort im Original meint den Inbegriff der Eigenschaften, die den Umgang mit einem Menschen angenehm und erfreulich machen. Eine dem anderen zugewandte Lebenshaltung, Freundlichkeit, Güte, Geduld, Milde, Nachsicht in einem. In der alten Übersetzung von Luther steht noch: Eure Lindigkeit lasset kund sein alle Menschen. Eigentlich ist das die beste Übersetzung, leider versteht heute niemand mehr dieses alte deutsche Wort. Lindige Menschen strahlen milde, freundliche Gelassenheit aus.
Der Predigttext schließt mit Vers 7. „Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus“. Das ist interessant. Fällt Ihnen etwas auf? Die Übersetzung ist neu. Wir kennen den Vers so: „Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus“.
Nur damit keine Zweifel aufkommen: Die neue Übersetzung ist völlig richtig, im Griechischen steht hier eindeutig der Futur.
Aber auch inhaltlich trifft die neue Übersetzung deutlich besser, was Paulus meint. Der Friede Gottes wird eure Herzen und Sinnen bewahren. Paulus ist sich komplett sicher. Am Beginn des Philipperbriefs schreibt er ja auch, das gute Werk, das Gott begonnen hat, das wird er auch vollenden. Das ist kein Wunsch, das ist feste Überzeugung. Ich sage ja auch im Sommer nicht, wenn ihr in einem See baden geht, möget ihr nass werden. Ich bin sicher, dann werdet ihr nass werden. Mit derselben Gewissheit schreibt Paulus hier. Und auch ich bin genauso davon überzeugt: Wenn ihr „in“ Christus seid, dann wird, komme, was kommen mag, der Friede Gottes eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.
Amen.