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Predigt · 3. Sonntag Epiphanias · 26. 1. 2025 · Michael Hufen

Posted on Jan. 28, 2025 in Predigten

„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit“

Liebe Gemeinde, so beginnt der Roman „Joseph und seine Brüder“ von Thomas Mann.

Im Brunnen der Vergangenheit finden sich Geschichte, Geschichten und Weisheiten, Hinweise auf eigenen Traditionen und die eigenen Herkunft.

„Am Brunnen vor dem Tore  – da steht ein Lindenbaum“, der immer wieder in seinen Schatten zieht, in dessen Rinde liebe Wörter geschnitzt, nach dem man immer wieder Sehnsucht hat.

Der Brunnen in „Mister Aufziehvogel“ von Haruki Murakami eröffnet an seinem Grunde den Weg in eine ganz andere Wirklichkeit.

Und ein Brunnen in Assuan eröffnet vor über 2000 Jahren der Wissenschaft eine neue Sicht auf unsere Welt. Der Mathematiker Erasthosthenes im fernen Alexandria erfährt, dass am Mittsommertag die Sonne über Assuan so senkrecht über der Erde steht, dass die Menschen keine Schatten mehr werfen und wenn man sich über einen Brunnen beugt, der ganze Brunnenschacht durch den Schatten des Betrachters in völlige Finsternis getaucht ist. Erasthosthenes  weiss, dass am Mittsommertag in Alexandria auch bei Sonnenhöchststand ein Schatten bleibt, er vermisst den Winkel diese Schattens und die Entfernung zwischen den beiden Städten und berechnet so die Krümmung der Erde und damit den Umfang der Erde – schon vor 2000 Jahren wusste er also, dass die Erde eine Kugel ist – eine neue Sicht auf die Welt, ja Wissen wird möglich.

Brunnen sind besondere Orte. An ihnen und in ihnen findet man Wasser zum Überleben und eben noch mehr. Wasser zum Leben ist wichtig – das wissen wir alle und wer schon einmal ein Schulkind gehört hat, dass mit frisch erworbenen Wissen aus der Schule kommt und mit professoralen Ernst sagt „Ohne Wasser können wir nicht leben“ erst recht.

Der Jakobsbrunnen in Sychar in Galiläa ist tief – 32 Meter – in seiner Tiefe findet sich Wasser zum Leben und die Tiefe der Vergangenheit. Erfrischendes Wasser für Menschen und Tiere und Geschichten aus längst vergangen Zeiten, die über die Zeiten die Erinnerung an Jakob, der diesen Brunnen seinem Sohn Joseph gab, nicht nur wach, sondern lebendig gehalten haben und damit einen Teil der Erzvätertradition, die für Menschen aus Norden, Süden, Osten und Westen bis heute zur Vorgeschichte ihrer selbst gehören.

An diesem Brunnen trifft Jesus die samaritanische Frau und bittet sie um Wasser. Ein Jude bittet sie und sie zögert. Doch im Fortgang unseres Evangeliums spielt das Trinkwasser keine Rolle mehr. Und auch die unterschiedliche Herkunft nicht.

Wasser bekommen, Durst gestillt …. Und dann?

Wenn die dringenden Bedürfnisse gestillt sind, was kommt dann?

Die Sehnsucht nach dem, was Leben ist, nach Leben im Leben.

 „Das kann doch nicht alles gewesen sein / Da muss doch noch irgendwas

kommen Nein, / da muss doch noch Leben ins Leben – eben“. Wolf Biermann

Welches Wasser stillt den Durst nach Leben, wenn das Notwendige erreicht ist?

Wer sich eingerichtet hat in seiner Lebensweise, das Notwendige kennt und hat, beginnt irgendwann so zu fragen.

Da muss doch noch mehr sein! Etwas, was nicht nur den Bauch füllt, sondern im Leben satt macht. Eine Orientierung für unsere Sehnsüchte und Hoffnungen, Träume und Wünsche. Frieden, Freiheit, Liebe und Glück.

Und dann vielleicht auch die Antwort auf die Frage, was Leben ist und ja, auch die Antwort auf die Frage, nach Gott.

Liebe Gemeinde, das neue Jahr ist jetzt 4 Wochen alt und viele von uns haben die Ahnung, dass bis zum Ende dieses Jahres noch so manche Gewissheit auf eine harte Probe gestellt wird und wir die Fragen nach dem Leben, nach Frieden, Liebe und Gott aus veränderten Positionen neu stellen. Und der Durst nach Erkenntnis und Wahrheit wird uns auf die Probe stellen.

Am Dienstag bei der Ökumenischen Bibelwoche haben wir uns mit der Geschichte vom Seewandel Jesu im 6.Kapitel des Johannes-Evangeliums beschäftigt – Jesus kommt in Finsternis und Sturm zu seinen Jüngern. Und sie fürchten sich. Er gibt sich zu erkennen und sie wollen ihn zu sich ins Boot holen. Doch plötzlich ist das Boot am Strand. Die Jünger wollen Jesus ganz nahe bei sich haben, auf ihrer Seite, in ihrem Boot. Doch plötzlich ist das Boot am Strand. Die Jünger wollen sich Jesus aneignen, über ihn verfügen, aber er entzieht sich. „Ego eimi“ – sagt er zu ihnen „Ich bin da“ und „Fürchtet euch nicht“! Ich bin bei euch, allezeit. Ich bin es. Ich bin der Weg, das Licht, die Wahrheit und der wahre Weinstock – Ich bin es, den ihr kennt – und eben nicht irgend jemand anderes, keiner, der von sich behauptet, von Gott gerettet zu worden zu sein, um Amerika wieder groß zu machen, keiner der Herren dieser Welt, die Heil und Zukunft durch immer mehr Waffen und immer weniger Freiheit propagieren, die um der Profite der Wenigen, die Welt mit Sozialabbau, Sanktionen und Kriegen überziehen wollen und jeden bedrohen, der ihnen nicht zu willen ist. Wie brandgefährlich es ist, sich diesen Herren anzuvertrauen, erleben wir so drastisch, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Unsere Sicherheiten wanken und der Durst nach Wahrhaftigkeit, nach lebensspendendem Wasser ist so groß.

Kein Wunderwasser, das immer frisch und unerschöpflich zur Verfügung steht, verfügbar bei mir und für mich, wenn ich es brauche.

Der Weg zum Brunnen muss immer wieder neu zurückgelegt werden. Die Weisheit der Tiefe erschließt sich erst beim langwierigen Schöpfen: „Suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan“, sagt Jesus in der Bergpredigt (Mt 7,7). Die Ruhe für die eigene Seele, über die Jesus zu den Mühseligen und Beladenen spricht (Mt 11,29) diese innere Ruhe gibt es nicht auf Dauer. Es gibt sie nur mit Durst und Sehnsucht, mit dem erneuten Weg zum lebendigen Wasser.

Tief ist der auch Brunnen der Weisheit.

Wie gelangen wir nun an das Wasser, das im Leben, zum Leben hilft.

Jesus selbst gibt uns einen Hinweis darauf:

 „Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn und der gäbe dir lebendiges Wasser.“

Erkennen – Bitten – Gabe und Bekommen

Erkennen, wer Gott ist und das Jesus Gott ist, das ist im Johannesevangelium wichtig. In der Geschichte vom Seewandel, weist Jesus klar den Weg „Ich bin es“ – „Ego eimi“ heißt das in Griechisch – so wie es in der griechischen Übersetzung der Gottesoffenbarung im Dornbusch in 2.Mose 3 auch heißt. Dort sagt die Stimme Gotte zu Mose „Ego eimi“ – „Ich bin der Gott deiner Vorväter“ und damit es auch jeder Leser des Johannesevangeliums versteht, folgen dann im weiteren Verlauf all die „Ich bin“-Worte, die wir alle so gut kennen: Ich bin die Wahrheit, die Tür, das Brot des Lebens, das Licht ….

Hier wird es auch ganz deutlich, dass es den so gerne konstruierten Gegensatz von Glauben und Wissen nicht gibt, Glauben ist auch Fürwahrhalten und Wissen!

Das Wissen um Gott, die Unterscheidung des Vaters und des Sohnes von den Göttern und Heilsbringern dieser Welt ist nicht trivial. Wo ist Gott jetzt – und wo ist er ferne? Ach wenn wir in diesen Tagen doch nur besser erkennten! Ach wenn wir wüssten!

Es ist nicht trivial, was jemand glaubt und es wird weder dem christlichen Glauben noch dem Glauben anderen Religionen gerecht, wenn wir davon sprechen, dass es irgendwie doch immer um den gleichen Glauben ginge.

Bitten: Wenn du erkenntest, wer der ist, der mit dir spricht, du würdest ihn bitten. Ihn wirklich bitten, in deinem Leben an deiner Seite zu stehen. Und eben nicht in der Art vieler unserer Gebete: lass uns gute Menschen sein oder lass uns dies und das tun.

Beten in der Art, wie es in unserem wichtigsten Gebet formuliert ist, dem Vaterunser, das ja eine einzige Bitte ist – gibt uns unser tägliches Brot – gibt uns lebendiges Wasser, gib uns, was uns wirklich satt macht und wirklich unseren Durst nach Leben stillt.

Und es gibt keinen Automatismus. Gott gibt, wenn wir ihn darum bitten. Ich bin mir nicht sicher, ob Gottes Gabe immer gleich als Wunder oder Fügung zu bezeichnen ist, wie es viele unsrer amerikanischen oder evangelikalen Glaubensgeschwister gerne annehmen.

Da orientiere ich mich doch eher an Luther.

Von Martin Luther ist bekannt, dass er oft stundenlang (und oft laut) betete – und das zur besten Tageszeit. Luther hielt das Bitten Gottes nicht für einen überflüssigen Zeitaufwand. Er ließ es sich das Wertvollste kosten, über das er verfügte: Arbeitszeit.

Ja! Gott gibt und wir können empfangen. Im 7.Kapitel heißt es bei Johannes sogar: „Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“

Aus der Sehnsucht nach Veränderung und Neuem, aus der Sehnsucht nach Leben im Leben, kann etwas werden, was aus uns, aus mir fließt: Gutes und Wahres, Liebe und Frieden.

Tief ist der Brunnen der Vergangenheit und lebendig macht das Wasser, dass Gott für uns bereithält.

Wenn der Durst zur Sehnsucht wird; wenn die Dinge lebendig werden, dann fällt der Glanz des Himmels in die tiefen Brunnen; dann ist Epiphanias: Denn die Finsternis vergeht und das wahre Licht scheint jetzt.

Amen.