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Predigt · Sonntag Exaudi · 12.5.2024 · Pfarrer Michael Hufen · Johannes 16, 5-15

Posted on Mai 13, 2024 in Predigten

Liebe Gemeinde,

Jesus ist weg.

Am vergangenen Donnerstag haben wir seiner Himmelfahrt gedacht.

Nach den Berichten der ersten drei Evangelien ist Himmelfahrt, der Abschied von seinen Anhängern, der Abbruch des durch die irdische Gegenwart Jesu bestimmten Verhältnisses Gottes zu den Menschen.

Die neue Dimension des Verhältnisses Gottes zu den Menschen ist bereits angekündigt:

Jesus will den Menschen den Geist Gottes senden.

Etwas salopp könnte man nun sagen: am Sonntag Exaudi sind wir in einer Zwischenzeit, Jesus ist schon gegangen, wir haben schon Abschied von ihm genommen und der verheißene Geist ist noch nicht da.

Wir wissen, dass der verheißene Geist Pfingsten über die Jünger und Anhänger gekommen ist. Aber unser Kirchenjahr ist ja nun einmal darauf angelegt, dass wir die einzelnen Stationen der Heilsgeschichte immer wieder durchschreiten, nachvollziehen und auch miterleben.

Die Jünger und Anhänger Jesu wussten vor 2000 Jahren nicht, was wir wissen. Für sie war Himmelfahrt tatsächlich ein schmerzlicher Abschied und der Beginn einer ungewissen Zukunft. Es war noch nicht Pfingsten, der verheißene Tröster, der Paraklet, der Geist, den Jesus ihnen für die Zeit nach seinem Abschied angekündigt hat, war noch nicht da.

Sie waren voller Ungewissheit, ja auch Angst und Sorge: wie würde es weitergehen, geht es überhaupt weiter. Wie wir aus der Pfingstgeschichte in der Apostelgeschichte wissen, schlossen sie sich ein, versteckten sich hinter fest verschlossenen Türen und wurden erst wieder durch den Geist Gottes, der sich wie Feuerflammen auf ihre Köpfe setzte,  herausgerufen in die Welt.

Liebe Gemeinde, am vorvergangenen Sonnabend haben wir hier die Installation eines Nachdrucks des Freskos „Der verlorene Sohn“ gefeiert. Über dem Eingangsportal hängt nun wieder für einige Wochen, vielleicht ein paar Monate die Reproduktion des Bildes von Herbert Ortel, das 1934 auf Geheiß des damals deutschchristlich geprägten Gemeindekirchenrats abgekratzt wurde. Nun ist über Kunst und die Qualität von Kunstwerken immer gut streiten. Der einen gefällt dieses, dem anderen jenes Bild besser. Bei der Auseinandersetzung über das Fresko ging es aber eben nicht nur um Geschmacksfragen. Die Deutschen Christen galt das Werk als „Kitsch und Schund“. Mit dem Beschluss zur Entfernung des Bildes positionierten sie sich aber auch inhaltlich. Zur Haltung, über den Wert von Kunst richten zu dürfen, abweichende Meinungen darüber nicht zuzulassen und sogar die Zerstörung von Kunstwerken zu fordern, kam die Forderung, Judenchristen aus der Kirche auszuschließen, die jüdischen Schriften der Bibel mit ihrer – so hieß es – „Lohnmoral“ und ihren „Viehtreiber- und Zuhältergeschichten“ zu entfernen und die jüdischen Wurzeln von Jesus und Paulus aus den Schriften des Neuen Testaments zu tilgen.

Mit der Entfernung des Bildes konnte man dieser Forderungen deutlich Ausdruck geben.

Der Vater, der vor der Tür seinem heimkehrenden Sohn entgegentritt, ihn in die Arme nimmt und wieder mit hinein ins gemeinsame Haus nimmt, steht in der Gleichniserzählung für Gott, der den umkehrenden Menschen wieder aufnimmt, ohne Bedingungen, ohne Machtdemonstration, die Tür zu seinem Reich offenhaltend und der sich über jede und jeden freut, die und der um- und zurückkehrt.

Mit der Entfernung des Bildes schließen die Deutschen Christen symbolisch diese offene Kirchentür. Sie trennen scharf zwischen wir und ihr. Wir hier auf der richtigen Seite und ihr ohne Chance, verworfen und verdammt.

Als die Kunsthistorikerin Susanne Köller in ihrem Vortrag darauf hinwies, durchzuckte mich der Gedanke, wie symbolisch die – wenn auch zeitlich begrenzte – Wiederanbringung des Bildes heute ist: die Kirche, die ihre Türen offenhält und damit rechnet, dass die Menschen, die man allzu gerne abschreibt, kommen wollen und auch dürfen.

Niemanden verloren geben, im Gespräch bleiben, den Dialog suchen, zuhören, verstehen und wo es nötig und möglich ist, auch vergeben.

Liebe Gemeinde

Wir wissen von Ostern, Jesu Passion und seine Auferstehung. Wir glauben daran, dass in Tod und Auferstehung die Erlösung der Menschen von der Macht der Sünde und ihrem Sold, dem Tod, geschehen ist.

Wir erinnern uns an Jesu Missionsbefehl: Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker.

Wir sind in Erwartung von Pfingsten, wir erwarten die Ausgießung des Heiligen Geistes auch über uns.

Von diesem Geist schreibt uns nun Johannes im heutigen Predigttext:

Johannes 16, 5-15

Der Predigttext verbindet die Osterzeit mit Pfingsten. Jesus nimmt Abschied von seinen Anhängern und verheißt ihnen zugleich den Geist Gottes für die Zeit nach diesem Abschied.

Doch wer ist dieser Geist?

Für den von Johannes benutzten griechischen Begriff Paraklet finden sich viele verschiedene Übersetzungen: der Paraklet ist der Herbei- und Angerufene, der Geist der Barmherzigkeit, der Fürsprecher der Menschen, ihr Beistand. Luther übersetzt mit: Tröster.

Der mit Paraklet bezeichnete Geist Gottes soll Anwalt und Lehrer der Menschen sein.

In unserem Predigttext wird er als Geist der Wahrheit näher bezeichnet.

Der Geist der Wahrheit ist die verheißene Gotteskraft durch die Jesus bei uns sein will, bis ans Ende der Welt.

Und hier sollten wir genau hinschauen und hinhören. Es ist nicht der Geist, der unsere Wahrheiten voneinander scheidet, zwischen du und ich, ihr und wir, falsch und richtig.

„Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. 13Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in aller Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. 14Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er’s nehmen und euch verkündigen. 15Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er nimmt es von dem Meinen und wird es euch verkündigen.“

Ja – und am Ende wird gerichtet: „der Fürst dieser Welt.“

Solange es Kirche gibt, ist sie in der Herausforderung, sich zu den Ereignissen und Entwicklungen dieser Welt zu verhalten. In der historischen Rückschau wird deutlich, dass sich Kirche allzu oft falsch entschieden hat, auf der im Rückblick eindeutig erkennbaren „falschen Seite“ stand. Nur – war das damals auch so offensichtlich und wenn ja, warum hat das die Mehrheit nicht gesehen, warum gab es in den Diskussionen über die richtigen Entscheidungen nicht den Moment, wo jemand sagte „Was würde denn Jesus dazu sagen?“ i

Im Bewusstsein, dass man Jesus Lehre und Predigt zwar einerseits in ihren zeithistorischen Bezügen betrachten muss und die veränderte gesellschaftliche Situation des jeweiligen „Heute“ berücksichtigen muss, aber dass es andererseits es ja wohl doch das gibt, was in unserm Predigttext „das Meine“ ist.

Also die Wahrheit, die vor Gott gilt, die Bestand hat, die Jesus gepredigt hat und von der uns der Heilige Geist Kenntnis gibt.

Die fünf Pankower Pfarrer, die in einem Vortragsmarathon am 3.12.1933 unter der Überschrift „Das Wort sie sollen lassen stahn“ zur Abwehr der Propaganda der Deutschen Christen sprachen, wussten das noch sehr genau:

»Wir fünf Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Pankow erklären:

Unsere evangelische Kirche gründet sich allein auf das Evangelium und hat keine andere Aufgabe, als die Verkündigung dieses Evangeliums. Weicht sie davon ab, so kann sie den ihr von Gott gewordenen Auftrag nie erfüllen, eine im wahren Sinne deutsche evangelische Volkskirche zu sein. Denn evangelische Kirche ist nur da, ›wo das Wort Gottes lauter und rein gelehrt wird!‹ Die Verkündigung dieses Wortes ist der besondere, ihr eigene und zugleich im besten Sinne vaterländische Dienst, den sie unserem deutschen Volke schuldig ist.«

Liebe Gemeinde

Ich glaube, dass es nur sehr wenige unumstößlich Wahrheiten gibt und dass es gerade in den Beziehungen und Verhältnissen der Menschen untereinander schwierig ist, allgemeingültige Wahrheiten festzustellen. Vielmehr ist es doch so, dass sich Wahrheiten verändern. Ja das Wahrheit immer neu gegeben wird.

Die Gabe des Geistes der Wahrheit erwächst aus dem Wunsch Jesu, die Seinen nicht als „Waisen“, wie es im Johannesevangelium heißt, zurückzulassen.

Weil er sie/uns liebt, will er, dass sie, dass wir leben.

Denn wir sind immer Teil dieser Welt und sind ihr auch nicht durch die Gabe des Geistes der Wahrheit enthoben.

Die Wahrheit ist immer noch Jesus allein, wie er spricht: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, sie ist uns nicht im Pfingstfest vor fast 2000 Jahren übertragen worden.

Vielmehr wird durch die jedes Jahr in der Feier des Pfingstfestes, erinnerte Gabe des Geistes deutlich, dass es sich bei der Wahrheit nicht um etwas Fest-Stehendes, sondern um einen Prozess handelt.

Die Wahrheit entwickelt sich.

Sie engt nicht ein, macht durch Grenzziehungen und durch Türen zuschlagen nicht unfrei.

Denn es heißt: „Der Geist weht, wann und wo er will“.

Der Geist macht uns frei, er will das wir wahrhaftig sind und im Geist der Liebe unseren Mitmenschen und unserer Umwelt begegnen.

Der Geist der Wahrheit befreit zum Sehen – auch auf die eigene Unvollkommenheit. Er fordert keine Höchstleistungen und will nicht, dass wir ständig Vorbild spielen. Wir dürfen in diesem Geist auch schwach sein, wir dürfen Zweifel haben; unser Hadern mit Gott und unserem persönlichen Schicksal aussprechen.

Das heißt aber auch, dass unsere Wahrheit immer unvollendet ist, dass wir aus ihr eben nicht die Selbstgewissheit derer, die sich im Besitz der Moral wähnen, ableiten können.

Als immer wieder mit dem Geist der Wahrheit beschenkte, sind wir aufgefordert die Türen weit offen zu halten und selbst in die Welt hinauszugehen. Eben weil unsere Wahrheit der Wahrheit der modernen Zeit nicht immer entspricht, ist es wichtig, wahrhaftiges Zeugnis davon abzulegen, was wir wissen können und glauben dürfen.

Amen