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Predigt · Letzter Sonntag nach Epiphanias · 29. Januar 2023 · Pfarrer Michael Hufen

Posted on Feb 2, 2023 in Predigten

Predigttext 2.Mose 3

Liebe Gemeinde

Ich beginne heute einmal mit Fußball. Nicht mit irgendwelchen Kommentaren zum gestrigen Stadtderby, einige von Ihnen wissen ja, wo ich da meine Präferenzen habe.

Nein, ich beginnen mit einem ehemaligen Fußballer und heutigen Manager, Max Eberl, der in der vorletzten Woche in Interview gegeben hat, das mich ziemlich beeindruckt hat.

Vor einem Jahr ist er bei seinem ehemaligen Verein zurückgetreten. Er konnte nicht mehr. War physisch und geistig leer, musste weg. Er machte Urlaub und stellte fest, dass auch 5000 Kilometer Abstand zwischen Urlaubsort und Arbeit nicht genügen. Das es nicht genügt, einfach mal woanders zu sein, sich abzulenken, alles wegzuschieben.

Er brauchte professionelle Hilfe und in diesem Prozess begann er, sich Fragen zu stellen:

„Was macht mich glücklich? Wer bin ich eigentlich?“

Und er suchte nach wirklich ehrlichen Antworten.

Zwei Gedanken waren dabei für ihn zentral: die Frage nach dem eigenen Charakter und nach dem Gewissen.

Natürlich kehrt er in dem Interview nun nicht sein Innerstes nach außen, aber er teilt zwei seiner Grundüberlegungen mit:

1.“Charakter ist, was dem Menschen bleibt, wenn es ungemütlich wird“

und 2. „Sorge dich mehr um dein Gewissen als um deinen Ruf. Das Gewissen bist du, der Ruf, das Problem der anderen“.

Max Eberl ist kein Philosoph, kein tiefer Denker, der uns in ein ausgewogenes und komplett durchreflektiert stimmiges Gedankensystem hineinnimmt. Er ist ein Mensch, der viel erreicht hat, Erfolg hatte und doch feststellte, dass es so nicht mehr weitergeht, dass er sein Leben ändern muss. Der nicht mit dieser Welt bricht, aber feststellt, dass seine eigene Haltung mindestens für sein Wohl und das Wohl der Menschen in seinem Umfeld entscheidend ist. Vielleicht hat er sich das alles auch schon mal vorher gedacht, aber es brauchte wohl erst den körperlichen Zusammenbruch, um ihn auf seine Gedanken hören zu lassen.

„Die Seele sagt zum Körper, sag du es unserem Menschen, auf mich hört er nicht.“

Wenn wir es nicht mehr aushalten, wenn wir nicht mehr können, wenn Veränderung nötig ist, haben wir Menschen gewöhnlich viele Wege damit umzugehen. Wir verdrängen, versuchen auszugleichen – neudeutsch heißt das dann: kompensieren, und wir sind große Meister darin, zu probieren, mit den immer gleichen Methoden zu anderen Ergebnissen zu kommen.

Um unsere Wege neu auszurichten, tatsächlich neu anzufangen, brauchen wir dann manchmal ein eindeutiges Signal unseres Körpers oder – und darum geht es in unserm Predigttext – ein Erlebnis, das uns so erwischt, trifft, dass kein Ausweichen mehr möglich ist.

Und, das ist es, was mich so beeindruckt hat, es braucht eine Änderung der Blickrichtung durch Rückbesinnung oder Rückbindung, an das, worum es wirklich geht.

Und es geht um Ehrlichkeit gegen sich selbst.

Kann ich das, was ich tue, mit meinem Gewissen vereinbaren oder tue ich es wegen meines Rufs bei anderen oder weil es eben alle machen? Das geht in ganz persönliche Bereiche unseres Lebens und das hat auch mit Haltungen zu Politik und Gesellschaft zu tun.

Wir haben in unserem Land – auch wenn es vielleicht ein menschliches Phänomen ist – eine Tradition des Mitläufertums, dem lautesten Schreihals nachzulaufen, völlig egal ob die Parolen eigentlich gegen alle unsere Grundüberzeugungen gehen oder die schrecklichen Folgen unseres Handelns bei ein wenig sorgfältigerer Beschäftigung mit den Themen ganz deutlich auf der Hand liegen.

Vielleicht braucht es einen Zusammenbruch, um wieder den Weg zu sich selbst zu finden. Das wünsche ich niemanden und vor allem wünsche ich dies nicht den Völkern der Ukraine und Russland, und auch uns Deutschen nicht. Viel eher hoffe ich darauf, dass wir die Erlebnisse, die uns auf eine Veränderung unseres Handelns weisen und uns konkret fordern, erkennen und ernstnehmen und uns sagen lassen: HIER BIN ICH

Liebe Gemeinde,

Die Geschichte von der Erscheinung Gottes in einem brennenden Dornbusch, der dabei aber nicht verbrennt, ist eine der bildgewaltigsten Erzählungen der Bibel. 

Da ist Mose – der Sohn von Amram und Jochebed, als Baby ausgesetzt in einem Weidenkörbchen, gefunden von einer ägyptischen Prinzessin, aufgewachsen im Palast des Pharao. Mose, ein Mann zwischen Sklavenvolk und herrschender Klasse. Zerrissen in der Frage, wohin er eigentlich wirklich gehört. Mose, ein stotternder Choleriker, der aus Wut einen ägyptischen Sklaventreiber erschlägt. Ein Mann auf der Flucht, der bei einem fremden Volk eine neue Heimat, ja eine neue Familie findet. Der in der Arbeit als Schafhirte Ruhe und Glück entdeckt.

Ich glaube es ist schon jetzt deutlich, auf wieviel einzelne Gedanken und Motive dieser Geschichte man abheben kann. Und jeder Punkt für sich nicht nur mehr als genug Inhalt für eine Predigt, sondern für ganze Bücher – von Theologie bis Psychologie, als Roman, wissenschaftliche Arbeit oder Gedicht.

Die Fragen nach Heimat – wo gehöre ich hin und wo komme ich her?, nach Identität – wer bin ich? und der Zukunft – wie und wo werde ich leben? nach Gerechtigkeit, Schuld, Hoffnung – all das ist in der Mosegeschichte aufs engste miteinander verschränkt.

Mose sieht und hört, er wird aufmerksam als er den brennenden Dornbusch sieht und er hört zu: Mose, Mose! Ruft die Stimme aus dem Dornbusch und Mose antworte: Hier bin ich.

Würden uns diese Worte über die Lippen kommen?

Im 1.Buch Mose gibt es im 2.Schöpfungsbericht die Szene, in der Gott im Garten Eden sucht und ruft: “Adam, wo bist du?“  – weiß Gott nicht, wo Adam ist? Oder weiß Adam nicht wohin er sich verlaufen, verirrt, verrannt hat? Gott weiß wo Adam ist, aber Adam weiß es nicht.

Wissen wir, wo wir stehen? Könnten wir wie Mose sagen „Hier bin ich?“.

Oder schweigen wir voller Scham wie Adam.

Würden wir Gottes Ruf antworten und uns beauftragen lassen?

Würden wir unsere Schuhe ausziehen, also hinter uns lassen, was wir mitschleppen. Die Schuhe ausziehen, mit denen wir so lange auf ausgetretenen und sicher oft auch falschen Wegen unterwegs waren?

Der Gott, der Mose anspricht, gibt sich ihm zu erkennen, als der Gorr, der in der Geschichte Israels schon immer da ist, der Gott Abrahams, Isaaks und Jacobs, der Gott, der sich Jahwe nennt: Ich bin da, ich war da und ich werde da sein – und klar macht, was er will: Freiheit!

Wirkliche Freiheit für sein Volk! Keine die erst am Hindukusch und dann an der neuen Ostfront im Donbass verteidigt werden muss, sondern Freiheit für alle Menschen, Freiheit in der Ruhe und Frieden und nicht nur Handel und Geschäft möglich sind. Freiheit gegründet auf freie Selbstentscheidung und nicht die Zwänge vermeintlicher Alternativlosigkeiten, Freiheit deren Beschränkung als Selbstbeschränkung durch die Freiheit meiner Mitmenschen und nicht durch brutalen Zwang und Verbote bestimmt ist und die als Ideal nicht nur mir und den Menschen meiner Klasse, meines Standes oder meiner Religion gilt, sondern allen Menschen als Kindern Gottes.

Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Not gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.

Ich bin herniedergefahren, sagt Gott, ich komme zu euch, weil der Weg zur Freiheit so unsäglich mühsam ist. Ich bin herniedergefahren und komme zu euch, gerade dann, wenn euer Herz leer und mutlos ist. Der geheimnisvolle Gottesname, mit dem Gott sich offenbart, enthält sein ganzes Programm mit uns: „Ich werde sein, der ich sein werde“. Ich bin bei euch, werde unter euch und mit euch sein. So stellt Gott die Weichen für die Zukunft. Das ist der Weg zur Freiheit.

Nötiger denn je, dass wir das heute hören. Denn wir sind dabei, unsere Zukunft aufs Spiel setzen: Durch unverantwortlichen Umgang mit der uns anvertrauten Schöpfung, durch naiven Glauben an grenzenloses Wachstum, durch leichtfertiges Spiel mit den Bausteinen des Lebens und, gerade so hoch aktuell, die Kraft der Waffen,.

Wie kann es da Zukunft geben, Freiheit? Die Frage, ob und wie es um unsere Zukunft und unsere Freiheit bestellt ist, lässt uns oft ratlos zurück, ja sie lässt Menschen verzweifeln und zusammenbrechen.

Die Antwort auf die Frage kommt von Gott her. Der brennende Busch ist das Zeichen, die Wegmarkierung dafür. Im Wort, das Mose dort hört, finden auch wir die entscheidende Antwort: Ich bin herabgestiegen und will retten und befreien. Ich werde sein, der ich sein werde. „Ich bin – ich werde sein“.

Damit sind unsere Fragen noch nicht beantwortet oder erledigt. Aber eines leuchtet doch klar hervor aus dem Dornbusch: Die Antworten, nach denen wir suchen, sie sollen geboren werden aus dem ehrfürchtigen Staunen darüber, dass Gott selbst herabgestiegen ist. Nur so haben wir Zukunft. „Ziehe deine Schuhe aus, der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land“. Ehrfurcht vor Gott und Ehrfurcht vor dem Leben, daran hängen Freiheit und Zukunft. Solche Ehrfurcht kommt uns und dieser Welt zugute.

Die Verheißung von Freiheit und Zukunft aber liegen in Gottes Zusage: Ich bin herabgestiegen und will retten und befreien. Ich werde sein, der ich sein werde.  Amen