Predigt · Lätare · 31. März 2019 · Pfarrerin i.R. Ruth Misselwitz
Johannes 6, 47 – 51
Liebe Schwestern und Brüder,
wir feiern heute einen besonderen Sonntag in der Passionszeit mit
dem Namen Lätare –
das heißt übersetzt: „Freue dich“.
Er ragt aus der Reihe der anderen Sonntage heraus.
An diesem Tag pflegte der Papst in der alten Kirche eine goldene
Rose zu weihen, die er an hervorragende Persönlichkeiten übergab.
Der Brauch hat vermutlich seinen Ursprung in einem römischen
Frühlingsfest, bei dem man sich mit Blüten schmückte und sie
verschenkte.
Die Sitte, an diesem Tag keine violetten, sondern rosafarbene
Messgewänder anzulegen – erstmals bezeugt im 16. Jahrhundert –
hängt wahrscheinlich hiermit zusammen.
Der Klang gedämpfter Freude kommt uns aus den Lesungen
entgegen, die wir vorhin aus dem 1. und 2. Testament hörten.
Die Hälfte der Passionszeit ist geschafft –
die Fasten- oder auch Bußzeit geht ihrem Ende entgegen.
In der alten Kirche war die Passionszeit die Vorbereitungszeit der
Katechumenen, die sich am Ostersonntag taufen ließen.
Mit Unterweisungen, Bußritualen und besonderen Essensvorschriften
bereiteten sich die TaufanwärterInnen auf ihre Taufe vor
und die ganze Gemeinde nahm daran teil.
Als ich ein bisschen in meinen Büchern stöberte, um über die
Fastenbräuche mehr zu erfahren,
las ich mit Erstaunen, dass in manchen Regionen nicht nur auf
Fleisch und Alkohol verzichtet wurde
sondern auch auf Milch, Butter, Käse und Eier –
heute sagt man „vegane Ernährung“ dazu.
Was als nicht hinterfragbare Rituale und heilige Traditionen von
Generation zu Generation weiter gegeben wurde,
bewahrt im Keim uralte menschliche Weisheiten auf
über die Beziehung und Abhängigkeit des Menschen
von der Natur, von den Tieren und den kosmischen Kreisläufen.
Im Urgrund seiner Seele kennt der Mensch, die Grundlagen einer
natürlichen und achtungsvollen Beziehung zwischen Mensch und
Natur,
an die in bestimmten Ritualen erinnert wird.
Kommen wir zurück auf unseren Sonntag Lätare.
Der Predigttext für heute handelt von einer Speise, die weder vegan,
vegetarisch noch sonst was ist –
er spricht von einer himmlischen Speise, die Unsterblichkeit verleiht.
Joh. 6,47-51 lesen
Der Evangelist Johannes erzählt dann weiter, dass nach dieser Rede
die Zuhörer entsetzt waren:
Wie kann der uns sein Fleisch zu essen geben? – empören sie sich,
seine Jünger murren und viele von ihnen wenden sich von Jesus ab –
nur ein harter Kern von 12 Aufrechten bleibt übrig,
die dann als die 12 Apostel in die Geschichte eingehen.
Liebe Schwestern und Brüder,
wir stellen fest, dass die Sache mit Jesu Leib und Jesu Blut von
Anfang an auf Entsetzen und Ablehnung trifft. Und das ist zum Teil bis heute so.
Mit der Reformation gibt es in unseren protestantischen Kirchen
nicht mehr die Wandlung der Elemente von Brot und Wein
in Leib und Blut Christi,
so ganz im Klaren aber ist man sich auch in unseren Kirchen nicht
über die Bedeutung des Abendmahls.
Ist es nur ein Erinnerungsmahl, wie die reformatorischen Kirchen es
deuten,
oder wandelt sich doch da irgend etwas in Leib und Blut, wie es bei
den lutherischen Kirchen manchmal scheint?
Wir werden das heute nicht lösen.
Wir schauen auf den Text und lesen, dass Jesus von zweierlei Brot
spricht, von dem der Mensch lebt.
Das erste ist das tägliche Brot, das wir zum Leben brauchen,
das uns Energie und Kraft gibt, das duftet und schmeckt
und bei reichlichem Verzehr, den Magen füllt
und das Gemüt befriedet.
Um dieses Brot bitten wir im Vaterunser, dass Gott es uns täglich
geben möge.
Martin Luther beschreibt im Kleinen Katechismus das tägliche Brot
folgender maßen:
„alles, was zur Leibesnahrung und -notdurft gehört wie Essen,
Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromm
Gemahl, fromme Kinder, fromm Gesinde, fromme und getreue
Oberherren, gut Regiment, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht,
Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen“.
All das ist wichtig und für ein gutes und erfülltes Leben notwendig,
es sei allen zugestanden und darf niemandem verwehrt werden.
Dass zur Nahrung unserer Seele aber noch andere als materielle
Dinge gehören, wird aus Jesus Rede mehr als deutlich.
Das Manna, das hier erwähnt wird,
das die Väter und Mütter in der Wüste gegessen haben,
soll als Beispiel dafür dienen, das es nicht zum Leben,
sondern zum Tod geführt hat.
Ja, kurzfristig hat es die Israeliten gesättigt und gestärkt,
aber als sie es – entgegen dem Rat von Mose –
sammeln, aufheben und horten wollten,
verschimmelte es und verursachte tödliche Krankheiten.
Die menschliche Neigung, materielle Güter anzuhäufen,
die Gier nach Besitz und Sicherheit,
führt also am Ende nicht zu einem erfüllten Leben,
sondern zum Tod.
Jesus bietet hier eine Alternative an – das himmlische Brot, das zum
ewigen Leben führt.
Und er bietet sich selbst als das himmlische Brot an,
das verzehrt werden und sich in Kraft und Energie umwandeln
möchte.
Jesus wirbt um seine ZuhörerInnen:
Nehmt mich auf, meine Lehren, meine Taten,
meine Liebe und mein Vertrauen zu Gott und zu den Menschen –
kostet nicht nur ein wenig von dem oder von dem anderen,
sondern verzehrt mich in der ganzen Fülle meiner Menschlichkeit
und meiner Göttlichkeit, so werdet ihr Teil von Gott und vom wahren Menschen.
Diese Nahrung gibt euch eine Energie, die keine irdischen Grenzen
kennt,
auch wenn euer Körper zerfällt und euer Geist schwach wird
und umher irrt,
die Kraft, die ich euch gebe, trägt euch über den Tod hinaus in Gottes
Arme, in seine Ewigkeit.
Liebe Schwestern und Brüder,
uns kommt an dieser Stelle natürlich die Geschichte von der
Versuchung Jesu in der Wüste in den Sinn.
Als erste Versuchung schlägt der Satan dem ausgehungerten Jesus
vor, Steine in Brot zu verwandeln, frei nach dem Spruch:
„Erst kommt das Fressen, dann die Moral“
Aber Jesus antwortet: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein,
sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt.
Das himmlische Brot, das aus dem Wort Gottes kommt,
und das wir aufnehmen, verzehren, verdauen sollen,
befreit uns Menschen von der Angst –
der Angst vor dem Leben, der Angst vor dem Sterben,
der Angst vor der Einsamkeit, der Angst vor dem Versagen,
denn die Aufnahme Gottes in uns garantiert uns seine Gegenwart
wo auch immer wir uns befinden, was auch immer wir tun,
wie auch immer wir uns fühlen –
Gott ist gegenwärtig, er ist da – in uns und um uns.
Daran zu erinnern ist die Aufgabe dieses Sonntages Lätare.
Und ich zitiere noch einmal den Spruch, den wir vorhin aus dem
Buch des Propheten Jesaja gehört haben:
Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine
Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll
nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer. (Jes. 54,10)
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Passionszeit – eine gute
Vorbereitung auf das Osterfest.
Amen.