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Predigt · Kirchentagssonntag · 12. Februar 2017 · Pfarrerin Ruth Misselwitz

Posted on Feb 17, 2017 in Predigten

Genesis 16, 1 – 16

Liebe Schwestern und Brüder,
wir haben vorhin in der alttestamentlichen Lesung die Geschichte
von der ägyptischen Sklavin Hagar und ihrer Herrin Sara gehört.
Zwei Frauenschicksale, die stellvertretend dafür stehen, was Frauen
an Diskriminierung und Verachtung damals wie heute auszustehen
haben.


Zuerst Sara, die verzweifelt darum kämpft ein Kind zu bekommen,
die Verschlossenheit ihres Schoßes dann als gottgegeben hinnimmt
und zum letzten Mittel greift, das ihr noch bleibt – ihre Sklavin als
Leihmutter zu benutzen.


Dann Hagar, die Ägypterin, die als Sklavin und Fremde sich dem
Willen ihrer Herrin beugen muss und dem hochbetagten Abraham zur
Seite gelegt wird, um an Stelle ihrer Herrin schwanger zu werden.
Nach ihrer Meinung wird sie nicht gefragt, sie hat zu gehorchen und
zu funktionieren.


Und dann wird sie schwanger und sie erlebt einen beträchtlichen
Schub an Selbstbewusstsein. Ihr Bauch wölbt sich – während der
Bauch Saras flach und unfruchtbar bleibt.


Hagar weiß sehr genau, ihre gesellschaftliche Stellung einzuschätzen
und spielt diese gegen ihre Herrin wirkungsvoll aus.
Sie ist nun die Erbmutter, ihr Sohn wird der Erbe für die große
Verheißung sein, die Abraham von seinem unsichtbaren Gott
bekommen hat, aus ihm ein großes Volk zu machen.


Doch Sara lässt sich das nicht gefallen. Von einer Sklavin so
behandelt zu werden muss auch Abraham missfallen.
Zu dem Schmerz ihrer Unfruchtbarkeit kommt nun auch noch die
Verachtung ihrer Sklavin.


Sie klagt Abraham ihr Leid.
Und Abraham reagiert schnell und klar: „Schau, deine Sklavin ist in
deiner Hand. Mach mit ihr, was in deinen Augen richtig ist.“


Hagar flieht in die Wüste und dort findet sie ein Bote Gottes:
Zurück soll sie wieder gehen und sich unter die Hand Saras beugen.
Aber ihr wird die Zusage gemacht, dass aus ihrem Sohn eine
Nachkommenschaft hervorgehen wird, die so zahlreich sein wird,
dass man sie nicht mehr zählen kann.


Hagar gibt dem Gott, der ihr begegnet ist, den Namen: El Ro`i –
Gott, der mich sieht.


„Gott, der mich sieht“ – das ist eine Erfahrung, eine Glaubensaussage,
die Hagar in äußerster Bedrängnis macht.


Ihr Leben und das ihres Sohnes Ismael wird auch nach nochmaliger
späterer Bedrohung gerettet – aus Ismael wird ein großes Volk –
die Ismaeliten, die sich dann auch später in der Geschichtsschreibung
erfolgreich in kriegerischen Auseinandersetzungen gegen die
Israeliten durchsetzen können.


Aber Sara wird auch von Gott gesehen – auch sie wird schwanger,
nach dem sie schon alle Hoffnungen aufgegeben hat, bekommt sie
einen Sohn – Isaak.


„Gott, der mich sieht“, das ist die Losung, die über dem diesjährigen
Kirchentag steht, den wir im Mai in Berlin und in Wittenberg feiern
werden –
im Reformationsjubiläum, in dem unsere evangelische Kirche 500
Jahre alt wird.


Liebe Schwestern und Brüder, die Geschichte von beiden Frauen
erzählt von einem Gott, der treu ist, der zu seinen Versprechen steht der einen nicht aus den Augen verliert, der auch in die Wüste geht
und einen sucht,
der unabhängig vom Glauben oder von der Herkunft das Leid seiner
Kinder sieht.


Die Treue Gottes gilt nicht nur seinem auserwählten Volk,
sie gilt auch der ägyptischen Sklavin, die um ihr Leben ringt und die
sich von Gott und allen Menschen verlassen fühlt.


Aber sie ist nicht verlassen, sie wird gesehen und ihr wird ein Weg
gezeigt, der zu gehen im Moment zwar unverständlich und hart
erscheint, aber der am Ende doch ins Leben führt.


Liebe Schwestern und Brüder, diese Geschichte hört sich beim ersten
Lesen hart und unbarmherzig an. Wie die Frauen miteinander
umgehen, wie Abraham seine Sklavin der Gewalt Saras ausliefert und
wie Gott Hagar wieder zurück schickt in die Unterdrückung und
Demütigung.


Doch wenn man weiß, wie diese Geschichte weitergeht, dann erkennt
man eine höhere Fügung und einen göttlichen Plan, der einem im
Moment der Schicksalsschläge verborgen bleibt.


Und das ist es wohl auch, was wir alle in unserem Leben oft genug
erleben.


Da bricht auf ein Mal alles zusammen,
die gefürchtete Diagnose hat sich bestätigt,
die Trennung ist nicht mehr aufzuhalten,
der Betrieb wird geschlossen,
die Miete ist trotz Einspruch doch erhöht worden.


Die Erfahrung, dass Gott einen sieht, ist völlig abhanden gekommen.
Ja, solche Situationen gibt es.
Jeder und jede von uns kennt sie.
Und dennoch geht das Leben weiter und ich mache die Erfahrung,
dass mir Hilfe zuteil wird, von der ich es nicht erwartet habe.


Da stehen mir Menschen bei, die ich vorher gar nicht wahrgenommen
habe,
da bekomme ich Rat und Unterstützung, die wirklich weiter helfen.


Gläubige Menschen sehen darin die Hand Gottes, die über einem
liegt.


Gläubige Menschen erkennen darin den Blick Gottes, der treu und
fürsorglich auf mir ruht.


Auch wenn die Wege manchmal sehr verschlungen und
undurchsichtig für mich sind, ich werde auf all diesen Wegen gesehen
und begleitet.


Und dieser göttliche Blick ist keineswegs so bedrohlich, wie wir das
aus den Geschichten und Filmen eines totalitären
Überwachungsstaates kennen und den Kirchentagsplakat mit den
zwei glubschenden Augen auch vermitteln kann.


Nein, dieser Blick ist liebevoll und bestärkend,
manchmal auch mit Bangen und Sorge und einem kräftigen Stoß
verbunden,
dieser Blick führt ins Leben – nicht in den Tod,
auch wenn der Tod seine Hand an uns legt – er hat nicht das letzte
Wort – Gott holt uns auch dann zu sich.


Liebe Schwestern und Brüder, einen zweiten wichtigen Aspekt beinhaltet diese Geschichte

m muslimischen Koran ist Hagar die wichtige Ahnenfrau der
Nachfahren Abrahams . Die Muslime führen ihre Stammlinie über
Hagar und Ismael zurück.
Die Juden und die Christen definieren sich über Sara und Isaak.


Alle drei aber haben Abraham zum Stammvater, deshalb sprechen wir
auch von drei Abrahamitischen Religionen.


Alle drei glauben an den Gott, der sich Abraham als der unsichtbare
und höchste Gott offenbart hat.


Alle drei zählen sich zu der monotheistischen Religion.


In der Geschichte mit Hagar wird erzählt, dass Gott ein Gott für alle
Völker ist, die sich ihm anvertrauen.


Und das ist besonders heute in dieser zerrissenen Welt wichtig zu
hören und weiter zu tragen.


Wenn das in den Veranstaltungen des Kirchentages auch zum Tragen
kommt, dann können wir als Kirche einen erheblichen Beitrag zum
Frieden und zur Gerechtigkeit leisten.


Lasst uns dafür arbeiten und beten, dann werden wir erleben, dass Gott uns sieht und beisteht. Amen