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Predigt · Kantate · 19. Mai 2019 · Pfarrer Thies Gundlach

Posted on Mai 25, 2019 in Predigten

Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserem Vater
und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.


Liebe Gemeinde,
es ist nun das erste Mal, dass ich heute mit Ihnen Gottesdienst
feiern darf als offiziell bestellter ehrenamtlicher Prediger. Und die
zarteste Versuchung, seit es Vorstellungsgottesdienste gibt,
dürfte darin besteht, dass der neue Pfarrer alles das in seiner
ersten Predigt unterbringt, was er immer schon Mal sagen wollte.
Und, liebe Gemeinde, ich bin dieser Versuchung vollständig
erlegen: also Achtung, es geht ums Ganze!


Bei meiner Vorbereitung bin ich auf ein schönes altes Diktum von
einem klugen Theologen gestoßen, nein nicht Bonhoeffer,
sondern Heinz Zahrnt: „Man kann die Bibel ernst nehmen – oder
wörtlich!“ Oder in meinen Worten: Glaube ist Denken in Bildern!
Man kann sehr viel über unser Leben, unsere Welt, unseren
Alltag erfahren, wenn man sie wissenschaftlich betrachtet. Man
kann sie analysieren und sortieren, sie digitalisieren und
akademisieren, und immer trifft dies zweifellos etwas Richtiges.
Aber wenn man ihre Farbe, ihren Klang, ihr Geheimnis und ihre
Abgründe erfassen will, reicht dies alles nicht aus. Man braucht
sozusagen ein erweitertes Sinnesorgan, das die Zwischentöne,
die Farbabstufungen, die leisen Töne und die freien Risse zeigt.
Glaube ist Denken in Bildern und Gleichnissen, in Symbolen und
Geschichten. Bei dem Wenigen, das wir über Jesus wirklich
wissen, eines ist unstrittig: er hat Geschichten erzählt,
Gleichnisse, die uns hineinnehmen in die Zwischentöne und
Tiefenrisse des Lebens. Glaube ist Denken in Bildern, denn sie
können zeigen, dass es im Glauben um mehr als Alltag, mehr als
Richtiges, mehr als schwarz-weiß geht.


Glaube ist auch Hören in Bildern! Deswegen ist Kantate einer der
schönsten Sonntage des Jahres, weil der Osterglaube der
Christen immer gewusst hat: Gottes Geheimnis, seine
Auferstehung und Gegenwart in dieser Welt ist leichter mit Tönen
als mit Traktaten auszusprechen. Worte, Begriffe, Sätze sind
wichtig, weil man ja auch nicht alles glauben und verehren soll.
Aber spüren und erfahren, erkennen und berühren, dass gelingt
nur indirekt, nur über Bilder und Töne. Gott macht sich Bild und
Klang zu Nutze, um uns zu erreichen. Deswegen sind wir dankbar
für die schöne Musik heute, aber deswegen ist letztlich christliche
Kirche seit alters her immer Wort und Klang, Musik und Dichtung gewesen.

Glaube ist Denken in Bildern! Jetzt, liebe Gemeinde, habe ich
meinen programmatischen Satz zu Besten gegeben, aber noch
ist er reine Theorie, ist Rede über Religion, nicht religiöse Rede.
Deswegen verlocke ich Sie jetzt, mitzumachen bei dieser
Bildsprache, und das für den Sonntag Kantate. Ich beginne mit
einer schlichten Frage: Wann – meinen Sie – wann hat Gott die
Musik erschaffen? Wann ist er auf die Idee gekommen, den
Leben Klang und Gesang einzupflanzen? Ich mache mal drei
Vorschläge, und Sie werden merken, dass mit jedem Vorschlag
ein anderes Bild von Gott freigesetzt wird:


Wann hat Gott die Musik erschaffen? Vielleicht am ersten Tage
der Schöpfung, als er Feste und Wasser trennt, Mond und Sterne
entstanden und die Musik also im Kern der Gesang der Sterne ist.
Nicht wenige halten ja die Bewegungen der Sterne für Musik, für
einen von uns nur nicht hörbaren Klang, einen Tanz nach einer
Melodie, die wir noch nicht kennen. Natürlich, liebe Gemeinde,
dass ist ein Bild, aber wenn man über diesen Entstehungsort
spricht und ihn entfaltet, dann ist die Musik ein Geschenk des
Himmels, ein im Kosmos selbst eingebaute Barmherzigkeit, die
schon das allererste Leben erhebt über die pure Evolution hinaus.
Die Musik eines Mozart oder Beethoven ist dann Spiegel eines
Universums, Bach Kantaten eine Art Laufsprecher für eine
Schöpfung, die lange vor uns die Schönheit des Geschaffenen
andeutet.


Wann hat Gott die Musik erschaffen? Oder ist – zweites Bild – die
Musik mit dem Menschen entstanden, also am 6. Tag. Eine
Begabung Adams lange vor seiner Fähigkeit, ein Instrument zu
spielen oder seine Stimme zu nutzen. Hat Gott Adam und Eva
ausgestattet mit der Fähigkeit zur Musik, damit sie sich trösten
können, wenn sie einsam sind, damit sie sich stärken können,
wenn sie Angst haben, damit sie zusammen mehr sind als die
Summe ihrer Teilstimmen. Gott begabt den Menschen mit Musik
und schickt uns dann und wann einen Erwählten, einen
Begnadeten, damit die Musik uns berühren, trösten und adeln
kann, früher einen Schütz oder Händel, dann einen Reger oder
Brahms, heute vielleicht die Beatles oder auch Helene Fischer.


Natürlich, liebe Gemeinde, wenn man in diesem Bild den Glauben
an Gott entfaltet, hat man wieder diese Ichbezogenheit des
Menschen am Wickel. Musik ist nur für den Menschen da, dabei
wissen wir alle, dass auch Delfine und Wale singen können.
Deswegen zuletzt: Wann hat Gott die Musik erschaffen? Vielleicht
erst am 7., am letzten Tag, am Sabbat geschaffen, weil er
wusste, dass Ausatmen, Einkehr bei sich selbst, Stille sein und
Beten können mit Musik leichter zu leben ist. Hat er der
Schöpfung am Sabbat Musik geschenkt, damit sie auch anhalten
kann, damit sie jedenfalls einen Tag in der Woche sich selbst
unterbrechen kann, weil die Musik sie einlädt? Musik ist das
Gegenmittel zur beständigen Beschleunigung des Lebens, zum ewigen Hamsterrad des Arbeitens und zur unzerstörbaren Lust
auf Konsum. Dann bliebe allerdings unerklärlich, warum in jedem
Kaufhaus Musik dudelt.


Liebe Gemeinde, was meinen Sie: Wann hat Gott die Musik
erschaffen? Abstimmungen im Gottesdienst sind ja eher unüblich,
wir sprechen nachher beim Kaffee darüber.


Glaube ist Denken in Bildern. Denken von Gott in Bildern. Denn
natürlich sind diese drei Erschaffungsorte der Musik keine
wissenschaftliche Aussage, denn dann müsste es etwa heißen:
Musik hat sich aus der Evolution heraus entwickelt wie alles
andere auch. Aber wie trostlos ist es, über Musik lediglich als
Selektionsvorteil im Kampf eines „Survival oft the fittest“ zu
sprechen? Farbe, Tiefe, Halt und Trost erhält die Musik erst,
wenn sie im Glauben an Gott mehr sein darf: Gottes Gegenwart
im Dunklen, Gottes Tanzen im Glück, Gottes Beitrag zur
Gemeinschaft, Gottes Liebeserklärung an seine Schöpfung. Denn
dann kommen Bach, Brahms und Beatles erst ins rechte Licht: sie
lassen uns Tanzen und Träumen, Mut tanken und Angst
vertreiben.


Glaube ist Denken in Bildern! Das gilt übrigens auch für den
Taufspruch für die kleine Laura: „Und siehe, ich bin mit dir und
will dich behüten, wo du auch hinziehst, und will dich wieder
herbringen in dies Land“.

Natürlich kann man jetzt über die Vätergeschichten Israels reden,
über die Landnahme als durchaus nicht friedliche Eroberung
Kanaans durch die Israeliten, die sich so natürlich auch nicht
wirklich ereignet hat. Der Sprung zu den Problemen der Politik
Israels und Palästina heute ist dann nicht weit und scheint dann
zu einer aktuellen Predigt zu führen. Aber wenn ich ehrlich bin:
Ich finde es interessanter und spannender, Gott in diesen alten
Geschichten und Bildern zu entdecken, ihn zu verstehen und zu
bedenken. „Ich bin mit dir und will dich behüten“ – wir
sprachen darüber beim Taufgespräch, dass dies Ihre tiefe
Überzeugung ist: Gott bleibt bei mir und bei meinem Kind, ich
kann mich in dieser Welt gar nicht so verlaufen, dass Gott mit
nicht wiederfindet. Und genau dies ist die fundamentale
Entdeckung Israels damals: Gott ist nicht festgestellt, Gott ist
nicht festgehalten an einem bestimmten Ort, einem Tempel oder
Schrein, sondern ist beweglich, ohne festen Wohnsitz, er geht mit
Israel und mit uns, wohin wir auch gehen. Gott ist – wenn man so
will – ein Liebhaber ohne festen Wohnsitz. „Und will dich wieder
herbringen in dies Land“
– natürlich dies auch nicht wörtlich zu
nehmen ist als ein konkretes Fleckchen Erde, sondern gemeint
ist: Gott bringt uns immer zurück in sein Land und Reich. Die
Alten haben diesen Satz in ihrem Glauben als Bild für Ewigkeit
verstanden und den Satz als Trost für ein Heimkehren zu Gott am
Ende des Lebens verstanden. Und das muss ja nicht einmal
falsch sein, auch wenn wir heute eher an Gott als Heimat und Halt in diesem Leben denken, dass wir immer und zu allen Zeiten
bei ihm einkehren, ankommen, ausatmen können. Gott ist unser
Heimatland, als Christen sind wir dadurch zweifellos
unabhängiger von allen Heimaten, die uns heute in den
nationalistischen Tönen angeboten werden. Gott bringt mich und
dich wieder zu sich zurück, liebe Familie Adam, diese Zuversicht
und Hoffnung für Laura wünschen wir ihnen auch als Gemeinde
von ganzem Herzen. Und wenn unsere Kirche Spiegel dieser
Heimat Gottes werden und bleiben kann, freuen wir uns als
Gemeinde ebenfalls. Denn dieser Glaube an Gottes als Heimat
stärkt unsere Kinder, stärkt uns alle von Innen her, schenkt
Freiheit und Selbstbewusstsein, auch Demut und Herzenswärme,
und all dies ist vielleicht das Wichtigste, was wir als Eltern oder
Paten einem Kind mitgeben können.


Glaube ist Denken in Bildern! Glaube ist das Hören von Gottes
Güte in der Musik, sei diese nun am 1., am 6. Tag oder am 7. Tag
der Schöpfung geschaffen. Also lassen Sie uns hören auf solche
Klänge, auf Heinrich Schütz: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“.

Amen