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Predigt · 8. Sonntag nach Trinitatis · 17. Juli 2016 · Pfarrerin Ilsabe Alpermann

Posted on Jul 21, 2016 in Predigten

Epheser 5, 8b – 14

Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist, und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis; deckt sie vielmehr auf. Denn was von ihnen heimlich getan wird, davon auch nur zu reden ist schändlich. Das alles aber wird offenbar, wenn’s vom Licht aufgedeckt wird; denn alles, was offenbar wird, das ist Licht. Darum heißt es: Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten. (Eph 5, 8b-14)


Liebe Gemeinde,


„Wach auf, wach doch endlich auf“ – was kommt Ihnen dabei in den Sinn? Verbindet sich dieser Weckruf mit dem morgendlichen Ärger, wenn die halbwüchsigen Kinder es einfach nicht aus dem Bett und an den Frühstückstisch schaffen, sondern gerade mal knapp durchs Bad und dann auch schon zum Bus stürzen müssen, damit sie wenigstens einigermaßen pünktlich in der Schule ankommen?


„Wach auf, wach doch endlich auf“ – oder erinnern Sie sich an ein Gespräch, in dem es um eine andere Art von Wachrütteln ging: verschlaf dein Leben nicht, verspiele nicht alle deine Möglichkeiten durch Nichtstun, Trägheit oder Ängstlichkeit. Wach endlich auf und übernimm Verantwortung für dich selbst und für dein Leben.

Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.


Aufwachen, aufstehen und sich dem Licht Christi entgegenstrecken. Was für eine wunderbare Beschreibung für ein Leben im Glauben! Christus, das Licht, ist da wie die Sonne da ist – ohne unser Zutun. Ich stelle mich in dieses Licht, spüre die Wärme, strecke mich ihm entgegen. Jeden Morgen neu. Das Licht vergeht nicht, Gottes Güte begleitet mich an jedem Tag meines Lebens.


Dieses Licht ist uns geschenkt – wir brauchen rein gar nichts dazu zu tun, es nicht anheizen oder aufmotzen, nicht verstärken oder verschönern. Es ist einfach so da. Ein Geschenk des Lebens, ein Geschenk Gottes an uns. Lebt als Kinder des Lichts! Nehmt wahr, was Gott euch täglich zuwendet. Freut euch am Schönen, das euch begegnet. Fühlt das Glück, das euch geschenkt ist. Schätzt die Sicherheit, die euer Leben umgibt. Genießt die Gemeinschaft mit den Menschen, die euch wichtig sind. Seid wach für das Licht in eurem Leben. Lebt als Kinder des Lichts.


Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.


Natürlich ist die Bibel realistisch. Sie weiß von den finstersten Finsternissen, in die Menschen verschlungen und verwoben sind. Das ist im Brief an die Gemeinde in Ephesus nicht anders. Der Apostel erinnert sie: ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Sie haben eine Lebenswende hinter sich, weg von dem alten Götzenglauben hin zum befreienden Glauben an Jesus Christus. Das steht nicht nur auf dem Papier – es hat vielmehr Folgen im täglichen Leben. Da soll, ja da wird es sich zeigen: Darum – Lebt als Kinder des Lichts.


Die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Diese drei legt uns der Apostel an Herz als Wegweiser zu einem Leben im Licht Gottes.


„Rechtes Denken lässt das Herz mitreden. Stetige Gütigkeit vermag viel. Wie die Sonne das Eis zum Schmelzen bringt, bringt sie Missverständnisse, Misstrauen und Feindseligkeit zum Schwinden. Was ein Mensch an Gütigkeit in die Welt hinausgibt, arbeitet an den Herzen und an dem Denken der Menschen.“ So äußert sich Albert Schweitzer über die Güte. Die Bedeutung dieses alten Wortes ist heute in den Ohren vieler Menschen wahrscheinlich eher von der technischen Bedeutung „Qualität“ überlagert. Die Güte eines Menschen lässt sich aber nicht in DIN-Normen erfassen, sondern zeigt sich im täglichen Umgang miteinander als Herzenswärme und Freundlichkeit. Güte ist da, wo gerade nicht penibel auf der Norm und dem eigenem Recht bestanden wird, sondern die Belange der anderen in das eigene Handeln einbezogen wird. Die Güte weiß darum, dass wir nur glücklich sein können, wenn auch unsere Mitmenschen glücklich sind. (Leibniz)


Im Predigttext steht die Güte zusammen mit der Gerechtigkeit und der Wahrheit. Diese beiden brauchen die Güte an ihrer Seite, damit Gerechtigkeit nicht lieblos und Wahrheit nicht eiskalt wird. Der Gerechtigkeit nachzujagen und der Wahrheit die Ehre zu geben, ist uns aufgetragen. Grelles Scheinwerferlicht auf das Fehlverhalten anderer zu richten, ist damit aber nicht gemeint. Wir werden ja hier mitten hineingeführt in die Fragen des alltäglichen Zusammenlebens in unseren Familien und im Freundeskreis. Auch im beruflichen Umfeld in der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen haben wir es mit solchen Fragen zu tun. Wir sind herausgefordert, mit unserem eigenen Fehlverhalten und dem vermeintlichen oder tatsächlichen Fehlverhalten der anderen umzugehen.


Was zum Beispiel tun wir als Eltern, wenn unsere Kinder wichtige Dinge verschweigen oder anders darstellen, als sie tatsächlich sind? Da verspricht der studierende Sohn hoch und heilig, seinen Abschluss zu schaffen und dann kommt doch wieder die Rechnung für die Studiengebühren des nächsten Semesters? So zieht sich das hin und in die Länge und der Ärger wächst, – auch darüber, dass hier nicht mit offenen Karten gespielt wird. Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit – es ist gut, alle drei beieinander zu halten und vor allem die Güte nicht zu verlieren. Die Wahrheit besteht darauf, dass solche Auseinandersetzungen ehrlich geführt werden und nicht geflunkert, verborgen, gelogen wird. Die Gerechtigkeit aber fragt auch nach den Gründen. Wie groß ist eigentlich der Druck, dem unsere Kinder ausgesetzt sind? Sie haben tausend Möglichkeiten, können sich für dies oder für das entscheiden und sind doch manchmal damit überfordert. Und Eltern haben nicht selten hohe Erwartungen, die gar nicht unbedingt ausgesprochen werden müssen. Sie prägen sich den Kindern allein dadurch ein, dass die Eltern selber zielstrebig und mit hohem Anspruch an ihre berufliche Existenz leben. Die Gerechtigkeit lässt mich als Mutter auch fragen, wo ich selber dazu beigetragen habe, dass mein Kind diese oder jene Seite zeigt, die mir missfällt.


Die Güte schließlich leitet uns dazu an, von unseren Normen und Maßstäben, von unseren Ansprüchen an uns selbst und unsere Mitmenschen auch immer wieder einmal zu lassen. Sie beiseite zu stellen und mit vollem Bewusstsein über eigenes und fremdes Fehlverhalten hinwegzusehen. Das hat nichts mit mangelnder Klarheit oder gar mit Feigheit zu tun, die sich nicht traut, unangenehme Dinge anzusprechen und Konflikte auszutragen. Vielmehr zeigt sich hier die Lebenserfahrung, dass Menschen, die bloßgestellt werden, die schutzlos mit ihren Fehlern konfrontiert werden, keine Möglichkeit zur Umkehr haben. Sie werden in eine Verteidigungshaltung gezwungen, die eine Änderung nahezu unmöglich macht. Die Güte bringt Missverständnisse, Misstrauen und Feindseligkeit zum Schwinden. Die Güte verbreitet ein mildes Licht und lässt der Liebe, die der Sünden Menge deckt, ein Chance. Die Güte traut der anderen etwas zu und ermutigt sie, ihren eigenen Weg zu finden und zu gehen.


Was ein Mensch an Gütigkeit in die Welt hinausgibt, arbeitet an den Herzen und an dem Denken der Menschen. Taugt die Trias von Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit heute noch für die Welt? Gerechtigkeit und Wahrheit sind bedeutende Themen im gesellschaftlichen und politischen Leben. Da gibt es ein Urteil aus Den Haag über die aggressive Expansionspolitik Chinas gegenüber den Nachbarn im südchinesischen Meer. Da zwingt eine Doktorarbeit aus Berlin zur europäischen Finanzpolitik die europäischen Institutionen zur Offenlegung eines 18 Jahre lang geheim gehaltenen Abkommens. Da bemühen sich weltweit Journalisten um die Aufdeckung von kleinen und großen Skandalen, Whistleblower geben mit hohem persönlichem Risiko Daten und Fakten an die Öffentlichkeit weiter und bewirken damit Veränderungen. Das Licht der Wahrheit leuchtet dorthin, wo Finsternis herrscht und herrschen soll, um Strukturen der Macht und Unterdrückung zu bewahren. Aber ist da auch Platz für Güte?


Oder ist es so, dass alles, was über das persönlich Überschaubare hinausgeht, einfach nur fern und unübersichtlich scheint? Dass es da bloß noch um Strukturen von Macht und Geld geht, die niemand mehr beeinflussen kann? Aber auch dort sind ja Menschen am Werk und treffen konkrete Entscheidungen. Umgekehrt hat auch jeder und jede von uns Einfluss. Wir entscheiden, ob und wenn ja, wem wir unsere Stimme bei Wahlen geben, ob wir Volksentscheide unterstützen und uns einmischen. Diese Entscheidungen können durchaus auch von Güte geleitet werden. Wie wir leben, wirkt sich immer auch auf andere aus.


Darum heißt es: Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten. Wach auf, die du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten. Unser Predigttext zielt auf das alltägliche Leben mit seiner Spannung zwischen Licht und Finsternis. Uns wird zugetraut, uns auf die Seite des Lichts zu stellen. Wie gut uns das auch immer gelingen mag – Christus bleibt mit seinem Licht an unserer Seite, in Ewigkeit.


Amen