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Predigt · 7. Sonntag nach Trinitatis · 4. August 2019 · Pfarrerin i.R. Ruth Misselwitz

Posted on Aug 10, 2019 in Predigten

Johannes 6, 30 – 35

Liebe Schwestern und Brüder,

wir haben vorhin in der Evangeliumslesung die Geschichte von der
wundersamen Brotvermehrung gehört,
in der 5000 Menschen von 5 Broten und 2 Fischen satt wurden.


Ja, mehr noch – die Reste, die nach dem Essen gesammelt wurden,
füllten 12 Körbe.


Gleich im Anschluss an diese Geschichte steht der Predigttext für den
heutigen Sonntag, aus dem gleichen Kapitel wenige Verse danach:
Joh. 6,30-35


Die beiden Geschichten hat der Evangelist Johannes nicht zufällig
nacheinander aufgeschrieben.


In der ersten Geschichte wird berichtet, wie eine wirklich hungrige
Menschenmenge satt wird.


Was Hunger bedeutet haben mit Sicherheit die Leserinnen und Leser
des Johannesevangeliums gewusst.
Hier geht es nicht um einen geistlichen Hunger nach Sinnerfüllung
und Lebensglück –


nein, hier geht es um den Hunger, der Magenschmerzen verursacht,
der krank macht und alle Lebenskräfte versiegen lässt.


Diese Geschichte richtet sich an die Armen, die Elenden, die an den
Rand Gedrängten
und sie hat die Botschaft: Gott sieht euer Elend, er sorgt für euch,
er lässt euch nicht in der Wüste verrecken.


Die zweite Geschichte richtet sich an die Satten.


Sie, die Menschen, die am nächsten Tag Jesus aufsuchen, haben an
dem Mahl teilgenommen und die beglückende Erfahrung gemacht,
dass endlich dieser nagende Hunger gestillt wurde
und sie wollen noch mehr davon.


Sie suchen Jesus, weil er das wundersame Zeichen der
Brotvermehrung gemacht hat


und sie wollen weiterhin teilhaben an dieser wohltuenden Versorgung
mit Nahrungsmitteln in aller Fülle,
die Sicherheit und Ruhe schafft
und endlich die Sorge um den nächsten Tag beseitigt.


Wer so etwas schafft, der darf sich zu Recht Führer nennen,
dem will man gerne nachfolgen.


Das Volk, wie es hier bezeichnet wird, verlangt aber nach mehr
Zeichen und Wundern.


Sie wollen noch mehr, oder immer und immer wieder solche
beeindruckenden Taten sehen,
damit sie auch wirklich glauben können, dass Jesus der Gesandte
Gottes ist, der ersehnte Messias.


„Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben?
Was für ein Werk tust Du?“ fragen sie


und weisen auf Mose, der in der Wüste dem Volk Israel Brot vom
Himmel – das Manna – gegeben hat.


Doch Jesus verweigert sich den aufdringlichen Bitten und Provokationen.
Sie brauchen etwas ganz anderes als die hungrige Menge, die er tags
zuvor erlebt und gesättigt hat,


ihre Mägen sind gefüllt – sie brauchen Brot für die Seele.


„Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht
hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“


Jesus bietet sich selbst als Nahrung, als Kraftquelle, als Lebenselixier
an.


Und das ist nun wiederum für seine Zuhörerinnen eine schwer
verdauliche Nahrung, die bis heute viele Fragen und
Missverständnisse hinterlassen hat.


Liebe Schwestern und Brüder,
zu dieser Gruppe mit dem gefüllten Magen würde ich mich
und wohl auch die meisten der hier Versammelten zählen.


Ich kenne wohl Hunger und Durst, aber nur als schnell zu
überwindenden Zustand,
in einer wohlsituierten Gesellschaft,
die einen tagelangen, wochenlangen, monatelangen Hungerzustand
nur aus Berichten anderer Menschen kennt.


Wir haben uns an diesen Zustand gewöhnt,
ja halten ihn für normal und selbstverständlich.


Und wir tun alles dafür, diesen Wohlstand zu erhalten und möglichst
zu erweitern.


Wir tun auch alles dafür, ihn zu sichern und zu verteidigen.


Und dafür sind wir auch bereit, einen hohen Preis zu zahlen.
Um Nahrungsmittel im Überfluss zu produzieren
und zu günstigen Preisen zu konsumieren,
setzten wir auf die industrielle Landwirtschaft und Tierzucht.


Dabei setzten wir alle Mittel ein, die eine effektive Ausnutzung der
Böden und der Tiere garantieren.


Der Preis dafür sind z.B. vergiftete Böden, der Rückgang von
Insekten und Vögeln,
und die grauenhafte Haltung von Tieren für die Gewinnung von
Fleisch- und Milchprodukten.


Wir wissen, dass das nicht gut sein kann
und versuchen unser schlechtes Gewissen in der Fülle der Angebote
zu ertränken.


Und bei allem Überfluss meldet sich nun ein Hunger ganz anderer
Art –
ein Hunger nach Wahrhaftigkeit, Geborgenheit,
nach Fürsorglichkeit, nach Freundschaft und Vertrauen –
nach Beziehung.


Und diese Sehnsucht richtet sich nicht nur auf unsere unmittelbare
Umgebung,
sondern breitet sich immer weiter aus.


Sie bewegt sich auf die Menschen um mich herum,
wandert weiter auf die gesamte Menschheit,
greift nach allen Geschöpfen auf dieser Erde


und will sich mit ihnen in dem Bewusstsein der
Gottesgeschöpflichkeit vereinen.

Mein kleines Ich ist aufgehoben und geborgen in den mütterlichen
Händen Gottes, der die gesamte Kreatur mit seiner Liebe und
Barmherzigkeit durchdringen will.


Und dann sehe ich mit Erstaunen, dass in diesem Weltgebäude alles
und jedes seinen Platz hat,
dass es kein oben und unten gibt,
dass nicht unterteilt wird in Schwarze und Weiße, Reiche und Arme,


dass der Löwe neben dem Lamm liegt
und ein Kind vor der Höhle der Natter spielen kann
und niemand sich mehr voreinander fürchtet,
weil Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet werden.


Liebe Schwestern und Brüder,
wenn Jesus sich als das Brot des Lebens bezeichnet, dann kommen
mir solche Bilder.


Er hat Gott als Vater angesprochen und sich als sein Kind erlebt.


Er hat sich voll und ganz in die Fürsorge Gottes begeben,
alle irdischen und materiellen Sicherungen abgelehnt
und stattdessen volles Vertrauen in Gott gesetzt.


Er hat auf die irdische Königskrone, die ihm das Volk angeboten hat,
verzichtet und stattdessen die Dornenkrone gewählt.


Er hat gegen die Logik der Gewalt die Kraft der Empathie und der
Barmherzigkeit gestellt.


Er hat in völliger Übereinstimmung mit sich und der Welt,
mit sich und Gott gelebt.


Wenn wir uns nach ihm richten,
wenn wir dieses Brot nehmen und verzehren,
dann werden wir heil
und dann wird die Welt heil.


Ich glaube, dass es um nicht mehr und um nicht weniger geht.


Die Hoffnung auf diese Heilung stirbt nicht aus,
sie kann nicht getötet werden.


Gott selbst sorgt dafür, dass sie immer wieder zum Leben erweckt
wird
und in keinen Geringeren als in uns, die wir hier versammelt sind,
wird er diese Hoffnung einspeisen.


Wenn wir nachher das Abendmahl miteinander feiern,
dann hören wir die Worte:


Christi Leib für dich gegeben,
– damit du zu ihm gehörst mit Leib und Seele
– damit du seine Liebe spürst am eigenen Leibe
– damit du neuen Mut zum Leben erhältst
Und auch das andere hören wir: Christi Blut für dich vergossen.
– Vergossen, auf dass es dir zur Quelle des Lebens werde
– damit es dich erfrischt auf den Durststrecken des Lebens
– und auf dass es dich tröste in deinem Leid, in deinem
Schmerz und deiner Trauer.
( H.-J. Milchner, Gottesdienst Praxis 3, 1999)


Dieses himmlische Brot will uns vereinen mit allem, was Gott
geschaffen hat – den Menschen, den Tieren und der Natur.


Mache er uns zu seinen Werkzeugen des Friedens und der
Versöhnung, damit wir und die Welt heil werden. Amen