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Predigt · 3. Advent · 15. 12. 2024 · Pfarrerin i.R. Ruth Misselwitz

Posted on Dez. 28, 2024 in Predigten

Liedpredigt zu „Die Nacht ist vorgedrungen“ von Jochen Klepper

Im ökumenischen Heiligenlexikon steht am 11. Dezember der Name

Jochen Klepper. Sein Todestag ist der 11. Dezember 1942.

Wir wollen uns heute sein wohl bekanntestes Lied anschauen:

Die Nacht ist vorgedrungen.

Schlagen sie es bitte auf, wir werden die einzelnen Verse singen und dazu ein paar Gedanken hören. EG 16

Jochen Klepper war einer der sprach gewaltigsten Dichter des 20 Jahrhunderts:

Viele seiner Lieder sind uns bekannt und werden gerne gesungen.

Im Evangelischen Gesangbuch stehen 13 seiner Lieder, im katholischen sechs:

Jochen Klepper (1903-1942) hat sich mit kraftvollen Versen in die Herzen der christlichen Gemeinde geschrieben. .

Schon zu Lebzeiten macht er sich als Liederdichter und Schriftsteller einen Namen.

Sein Buch  „Der Vater. Roman eines Königs“ über den „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. von Preußen (1688-1740) erscheint 1937 in einem Stuttgarter Verlag und wird als Gegenentwurf zum Nazi-Führerkult gesehen. Klepper beschreibt den Monarchen als einen gläubigen und demütigen König, der sein Amt in Verantwortung vor Gott führt. Das 1.000-Seiten-Buch überzeugt sogar das Reichskriegsministerium, das allen Soldaten die Lektüre empfiehlt. Klepper ist laut Tagebucheintrag von dieser staatlichen Zustimmung nicht begeistert: „Lieber Himmel, des ‚Vaters‘ Regierung ist Kritik, nicht Verherrlichung des Heutigen.“

Nachhaltiger wirkt er durch seine geistlichen Gedichte. 1903 wird er in der niederschlesischen Kleinstadt Beuthen in eine große Pfarrersfamilie geborenen. Klepper wählt nach dem Studium der evangelischen Theologie in Erlangen und Breslau zunächst den Weg des Journalismus. Er arbeitet beim Evangelischen Presseverband für Schlesien, im Berliner Ullstein-Haus und beim Hörfunk.

Seine SPD-Mitgliedschaft beendet er nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, weil ihm ein weiteres Arbeiten als Schriftsteller mit rotem Parteibuch nicht möglich gewesen wäre.

In den schweren Jahren der Nazi-Herrschaft konzentriert sich Klepper immer stärker auf christliche Dichtung.

Seine Verse orientieren sich am Tageslauf, am Kirchenjahr, an Festtagen. Viel gesungen sind heute noch die Lieder „Er weckt mich alle Morgen“, „Die Nacht ist vorgedrungen“ und „Der du die Zeit in Händen hast“.

Schnell geht seine originelle Lyrik in verschiedene Gesangbücher und Liedsammlungen ein.

1931 heiratet er die 13 Jahre ältere Johanna Gerstel-Stein, eine wohlhabende und gebildete Witwe mit zwei Töchtern – sie ist Jüdin, die sich aber später taufen lässt. Sie arbeitet als Modejournalistin und ihre Eltern betreiben in Nürnberg ein angesehenes Modegeschäft.

Mit der Brautwahl ihres Sohnes haben sich Kleppers Eltern nie abfinden können. Eine Jüdin in einem protestantischen Pfarrhaus verstieß gegen alle Regeln.

Klepper wird im Zweiten Weltkrieg wegen dieser Ehe als „wehr-unwürdig“ aus der Armee entlassen.

Die Nationalsozialisten drohen dem Schriftsteller schließlich mit Zwangsscheidung und Deportation von Frau und jüngerer Stieftochter. Die ältere Tochter Brigitte konnte 1939 noch nach England ausreisen. Alle Versuche, die Tochter Renate über Schweden in Sicherheit zu bringen, scheitern.

Am Morgen des 11. Dezember 1942 erhalten sie den Bescheid, dass die Ausreise abgelehnt wurde. Am Abend desselben Tages gehen sie gemeinsam in den Tod. In seinem letzten Tagebuch-Eintrag schreibt Klepper: „Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt.“

Die Familie dreht in der Küche den Gashahn auf und legt sich auf den Boden – eine Hausgehilfin findet die drei Leichen am nächsten Morgen.

Die Kirche hat in ihrer Geschichte den Suizid die längste Zeit geächtet. Klepper schrieb aber schon 1933: „Ich glaube, dass der Selbstmord unter die Vergebung fällt wie all andere Sünde.“

In diesem Vertrauen hat sich der Dichter mit seiner Frau und der Tochter vor 82 Jahren der Vernichtung durch den Nazi-Terror entzogen.

Wir singen heute noch seine Lieder.

„Die Nacht ist vorgedrungen“ erschien 1938 als Gedicht,

ein Jahr später schrieb Johannes Petzold die Melodie dazu.

Wir singen die 1. Strophe

  1. Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern! Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein, der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.

Wir befinden uns jetzt in der dunkelsten Jahreszeit, dem Tiefpunkt der Dunkelheit in Jahreszyklus.

Wenn wir nicht über die vielen Jahre unseres Lebens die Erfahrung einer Wende gerade in der dunkelsten Jahreszeit gemacht hätten,

wir könnten schier verzweifeln.

Zu schwer kommt das Licht durch die dichten Wolken

und zu kurz erhellt es unseren Tag.

Aber wir können uns darauf verlassen: Mit der Sonnenwende am 21. Dezember geht es wieder bergauf.

Nicht zufällig hat die alte Kirche den Geburtstag Jesu Christi genau in diese Zeit gelegt.

„Die Mitte der Nacht ist der Anfang des Tages“ dieser Buchtitel von Jörg Zink kommt mir dabei in den Sinn.

Am tiefsten Punkt, am schwärzesten Ort liegt die Wurzel,

aus der ein neuer Spross emporsteigt.

Da wo ich alles verloren habe, nichts mehr von mir oder der Welt erwarte, weil mir alles genommen wurde, alle Kraft, alle Phantasie, selbst die Hoffnung –

da kommt die Wende.

Da ganz unten liegt ja schon die Wurzel, in der der neue Keim auf das Emporsprießen wartet.

Und es braucht nicht die eigene Kraft, den eigenen Willen, es kommt von außen.

Es kommt vom Morgenstern, der uns entgegen scheint,

jeden Morgen – so sicher wie die Welt sich dreht.

So zuverlässig wie Sonne, Mond und Sterne sich ablösen

ohne unser Zutun, unser Wollen oder unsere Kraft –

das Licht – es kommt.

Auch wenn die Tränen der Nacht über den Wangen noch zu spüren sind, die Angst und die Pein unser Herz beschwert,

der Morgenstern beseitigt sie nicht,

nein – er hüllt sie ein in ein warmes Licht.

Das Licht der göttlichen Liebe, erschienen in dem Menschenkind – ganz nah, ganz klein, ganz zart.

Wir singen die 2. Strophe

  1. Dem alle Engel dienen, wird nun ein Kind und Knecht. Gott selber ist erschienen zur Sühne für sein Recht. Wer schuldig ist auf Erden, verhüll nicht mehr sein Haupt, er soll errettet werden, wenn er dem Kinde glaubt.

Auf dem Weihnachtsmarkt in Jena sah ich in einem kleinen Zelt, das als „Zelt der Hoffnung“ betitelt war, viele Zettel mit besinnlichen Sprüchen.

Auf einem stand: „In der Geschichte der Menschheit wollten die Menschen immer Götter sein. Der Gott in der christlichen Religion ist der einzige, der Mensch werden wollte.“

„Dem alle Engel dienen, wird nun ein Kind und Knecht“ – was ist das für ein Schritt.

Gott steigt herab von seiner erhabenen Höhe der himmlischen Sphären in die Tiefen der irdischen Existenz.

Ganz nah den Menschen, ja selbst ein Mensch, um ihn auffangen und aufrichten zu können, um ihn befreien zu können zum wahren Menschensein.

Im Leben Jesu hat er uns vorgelebt, was es bedeutet, ein wahrhaftiger Mensch zu sein.

In seine Nachfolge zu treten, bedeutet die Rettung der Welt.

Wenn wir so leben, wie Gott in Jesus gelebt hat,

werden wir wahre Menschen sein,

dann wird die Welt gerettet, denn Gott will die Rettung der Welt – nicht deren Untergang.

Wir singen die 3. Strophe

  1. Die Nacht ist schon im Schwinden, macht euch zum Stalle auf. Ihr sollt das Heil dort finden, das aller Zeiten Lauf von Anfang an verkündet, seit eure Schuld geschah. Nun hat sich euch verbündet, den Gott selbst ausersah.

In der 3. Strophe schauen wir nach vorne. Wir haben das Licht gefühlt in der dunkelsten Stunde, es zieht uns heraus aus der Erstarrung, aus der Kälte.

Auch wenn es noch dunkel um uns herum ist,

wir wissen, dass die Nacht im schwinden ist.

Wir orientieren uns an dem Stall, den wir sehen.

Nein – es ist kein prächtiges Schloss, kein scharfes eisernes Schwert,

kein undurchdringlicher Panzer, der vor Verletzungen schützt,

es ist ein armseliger Stall mit gewöhnlichen aber sehr nutzbringenden Tieren darin.  

Von dort kommt das Heil. Des Menschen Schuld, die von Anfang an da ist, wird nicht mit Zorn und Vernichtung beseitigt,

sondern mit Vergebung.

So sieht Gottes Plan für die Rettung der Welt aus.

Wir singen die 4. Strophe

  1. Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.

Es wird noch nicht so schnell zu Ende sein das Leid und das Böse.

Nach der endgültigen Erlösung sehnen wir uns.

Unser Weg bis dahin auf dieser Erde ist mühsam, doch mit uns geht nun das göttliche Licht.

Es hat uns den Ausweg aus der Katastrophe gezeigt,

die wir gegenwärtig aber nur in kleinen übersichtlichen Schritten gehen können.

Es will uns führen und erwärmen. Wir sind nicht allein.

Ich stelle mir vor, wie die kleine Klepperfamilie sich lieber in die Hände Gottes flüchtet, als den Händen der Nazischergen ausgeliefert zu sein.

Jochen Klepper weiß um die Schuld des Suizid – aber sein Vertrauen in die Barmherzigkeit Gottes ist großer als seine Angst vor Strafe.

Wir singen die letzte Strophe

  1. Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt. Als wollte er belohnen, so richtet er die Welt. Der sich den Erdkreis baute, der lässt den Sünder nicht. Wer hier dem Sohn vertraute, kommt dort aus dem Gericht.

Die letzte Strophe ist gemalt in verschiedenen gegensätzlichen Bildern.

Gott will im Dunkel sein – aber er erhellt es.

Er richtet die Welt – indem er sie belohnt.

Er ist der Architekt des Universums – doch er sieht das Leid des kleinen elenden Sünders.

Das Vertrauen in Gott im irdischen Leben

ist die Erlösung und Vollendung des Menschen im himmlischen.

Liebe Schwestern und Brüder,

an Weihnachten feiern wir die Menschwerdung Gottes.

Was für ein Geschenk – wir sind nicht verloren -.

es ist uns Rettung versprochen.

Amen.