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Predigt · Sonntag · Palmarum· 2. April 2023 · Pfarrer Michael Hufen

Posted on Apr 4, 2023 in Predigten

Liebe Gemeinde

Wir haben ja gerade den Besuch eines Königs hier in Berlin erlebt.

Was davon bleibt? Die Feststellung, dass nur ein Bruchteil der Zuschauer da war im Vergleich zum Besuch seiner Mutter vor 60 Jahren und die Beobachtung, daß die deutsche Staatsspitze und ihre Soldaten des Paraderegiment schlecht angezogen war.

Wir feiern heute Palmsonntag. Den Sonntag des Einzuges Jesu in Jerusalem. Den Sonntag der Palmenzweige, die eine begeisterte Volksmenge vor Jesus auf den Boden legte – zusammen mit ihren Kleidern – so wie es einem König geziemt. Im Evangelium des Johannes wird diese Szenerie beschrieben: Das Volk jubelt und singt: Hosianna dem Sohne Davids. Gelobt sei der da kommt im Namen des Herren, gelobt sei der König Israels.

Lasst uns darüber nachdenken, was es denn war, was all die Leute auf die Straßen brachte; was dazu führte, dass die Pharisäer resigniert sagten: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet alle Welt läuft ihm nach.

Und bei allem Nachdenken werden wir auch immer wieder auf die Frage stoßen: Wie konnte innerhalb einer Woche, der Karwoche, die Stimmung in Jerusalem so kippen, dass eine ähnlich große Menge wie beim Einzug, dann am Karfreitag rief: Kreuzige, Kreuzige?

Das Volk erwartete einen Retter, einen Mächtigen, der sie von der Fremdherrschaft der Römer und aus seiner materiellen Not erlöst. Doch genauso schnell wie die Menschen zu begeistern sind, wenden sie sich aber auch wieder ab, wenn das gewünschte Ergebnis nicht sofort eintritt. 

Bei den Pharisäern ist es anders. Sie erkennen den öffentlichen Aufruhr, den Jesus hervorruft als Gefahr für ihre eigene Position. Diese Gefahr besteht aber eben nicht nur in der momentanen Begeisterung und möglichen Unruhen, sondern die Pharisäer scheinen die langfristige Gefahr, die von diesem Menschen ausgeht zu erkennen.

Begeisterung rufen alle hervor, die massenwirksam Predigen und die mit einer spektakulären Aktion auf sich aufmerksam machen. Ich möchte behaupten, dass die Pharisäer die größere Gefahr darin sehen, dass Jesus in seiner Predigt die Machtstrukturen der Gesellschaft hinterfragt und kritisiert. Denn Jesus misst nicht den Wert eines Menschen, etwa an seiner sozialen Stellung, seiner Schönheit oder seinen Erfolgen, sondern für ihn hat der Mensch grundsätzlich einen Wert – das Menschsein an sich ist wertvoll. 

Mit diesem Grundsatz ist Jesus in der Gesellschaft ein Störenfried, ein Querdenker, der den Status Quo der Gesellschaft einfach nicht akzeptieren will. Nun predigte er aber nicht nur so, sondern er stellte sich ganz klar gegen Leid, Elend und Ungerechtigkeit in der Gesellschaft. Er stellte sich auf die Seite der Stigmatisierten und Ausgeschlossenen. Er heilte Menschen mit Krankheiten und körperlichen Gebrechen. Er begegnete Menschen, deren Beziehungen zerbrochen waren und begegnete ihnen menschlich. Und er redete von einer anderen Gerechtigkeit, dem Reich Gottes. Wenn er das für die ferne Zukunft angekündigt hätte, hätte es den Herrschenden vielleicht ja gepasst. Aber nein, er sagte auch noch, dass diese Gerechtigkeit jetzt anbrechen würde. Mitten unter ihnen. Und wo er hinkam, da brach es an, das Reich Gottes. Da schöpften Menschen Hoffnung, da durchbrachen sie festgefügte Traditionen, rannten von Beruf und Familie fort. Verdienten als Zolleintreiber nicht mehr das gute Geld, das doch förmlich auf der Straße lag.  Sie bekamen plötzlich Mitleid mit den Zollzahlenden, die sie vorher rücksichtslos ausgeplündert hatten. Sie kompromittierten geradezu den ganzen Zöllnerstand. Aus skrupellosen Geldmenschen wurden barmherzige Mitbürger. Dass Jesus das bewirken konnte, dass vergaßen sie ihm nicht. Solcher Protest gegen das Leiden und gegen die Ungerechtigkeit konnte nicht ohne Antwort bleiben.

Und manche seiner Freunde mögen das vielleicht geahnt haben. Jedenfalls erfahren wir nichts davon, dass sie sich über die Huldigungen, die Jesus entgegen gebracht wurden gefreut hätten. Ich denke, sie hatten Angst, nackte Angst und sie wussten sehr genau warum.

Sie wussten, dass es gefährlich war, so wie Jesus gegen das Leiden, gegen die Ungerechtigkeit, und damit gegen die Herrschenden zu protestieren.

So konsequent, so geradlinig, so glaubwürdig.

Im Brief an die Hebräer heißt es im 12. Kapitel: …..

Uns ist ein Kampf bestimmt, ein Kampf, in dem uns Jesus als Anführer, nicht nur als Anfänger des Glaubens vorausgeht. Gedenkt an das Geschick diese Anführers, damit ihr nicht mutlos werdet. Und neben Jesus gibt es noch ein Wolke von Zeugen, die uns zeigen, was es heißt, alles was uns beschwert hinter uns zu lassen.

„Ein Kampf ist uns bestimmt“ – eine Feststellung, die so gar nicht in unser christliches Denken im 21. Jahrhunderts passen will.

Lassen sich denn nicht alle Konflikte aussitzen, auf die lange Bank schieben, der schnellen Vergessensdynamik der medialen Wirklichkeit überlassen? 

Kämpfen – das scheint ja schon bei den Hebräern nicht so angesagt gewesen zu sein; im 10.Kapitel heißt es, dass schon viele die Gemeinde verlassen haben, und das schon etwa 100 Jahre nach Jesu Tod – mit der Geduld zum Kämpfen war es wohl angesichts der Wirklichkeit nicht so weit her.

Jesus ist unser Anführer. In welchen Kampf führt er uns? 

Ich habe das oben schon versucht kurz zu skizzieren: er führt uns in einen Kampf gegen menschenfeindliche Machtstrukturen und gegen die Geringschätzung des Wertes eines Menschen.

Es ist nun kein Kampf, der mit militärischen Mitteln zu führen und zu gewinnen wäre. In diesem Kampf treffen Vertrauen und Hass, Hoffnung und Macht, Gerechtigkeit und Profitstreben, absolute Gewaltlosigkeit und Militarismus, eigene Haltung und vermeintliche Alternativlosigkeiten aufeinander. Ja – es geht auch um unsere eigene Haltung.

Und in diesem Kampf geht es auch darum, sich selbst und dem Evangelium, dem wir uns verpflichtet wissen, treu zu bleiben.

Ich möchte dies an einem Beispiel beschreiben.

Es die Frage nach Kriegen in der heutigen Zeit. Was haben Christen zu den Kriegen in Afghanistan, in Syrien und ganz aktuell zum Krieg in der Ukraine zu sagen? 

Der sogenannte gesellschaftliche Konsens in unserem Land legitimiert diese Kriege oder vermeidet zumindest einen offenen kritischen Diskurs, der der Komplexität des Geschehens angemessen ist. Auch in der kirchlichen Öffentlichkeit begegnet kaum eine deutlich vernehmbare Stimme, die diesem Krieg ein wohl begründetes Nein entgegenstellt. Vielmehr las ich in der vergangenen Woche eine Legitimation unter Bezugnahme auf die mittelalterliche Lehre vom gerechten Krieg, nach der Kriege unter bestimmten Voraussetzungen als gerecht zu bezeichnen sind.

Kann aber heute ein gerechter Krieg überhaupt führbar sein? 

Stehen nicht das Wissen um die Gefahren eines modernen Krieges und die komplexen Zusammenhänge in einer globalisierten Welt solcher Rede entgegen? Nimmt man nicht dabei in Kauf, die Menschen, die in jedem Krieg sterben, verletzt, vergewaltigt und vertrieben werden, gering zu achten und sie somit vermeintlich übergeordneten Interessen zu opfern? 

Ich bin mir bei der Bewertung der Ursachen und der Führung des Krieges in der Ukraine selbst unsicher, aber ich bin davon überzeugt, dass es einen anderen Weg geben muss – mit etwas mehr Geduld und Vertrauen wäre er zu finden gewesen und ist immer noch zu suchen und herbei zu verhandeln. 

Ein Kampf ist uns “bestimmt“. 

Selbst wenn es scheint, dass diese unsere Überzeugungen nicht aktuell sind und wir uns in die Gefahr begeben, uns lächerlich zu machen. 

Wie bei Don Quijote, der gegen Windmühlenflügel kämpft, liegt in dieser Lächerlichkeit zugleich aber auch eine ungeheure Würde. 

Don Quijote hatte solch eine Menge an Ritterromanen gelesen, dass sein Realitätssinn etwas getrübt war – ihm ist die Wolke der Zeugen sozusagen zu Kopf gestiegen. Er nahm die alten Geschichten, von Ritterlichkeit, Edelmut und Tapferkeit ernst und zog in die Welt, um gegen Unrecht und Unterdrückung zu streiten, um Menschen aus der Macht von Riesen und Zauberern zu befreien. Er nahm die alten Geschichten wörtlich. Er glaubte an die Tugenden einer christlichen Ritterschaft, die in die veränderten gesellschaftlichen Umstände nicht mehr hineinpasst. Er ist so verrückt, dass er für Gerechtigkeit, Freiheit, Frieden leben, ja kämpfen will.

Der Theologe Manfred Josuttis, von dem die Idee stammt, das Leben von Don Quijote in Verbindung zum Text aus dem Hebräerbrief zu setzen, sieht den Don im Spannungsfeld dreier innerer Stimmen. 

Die eine sagt: „Es hat keinen Zweck. Es wird sich ja doch nichts ändern, in mir nicht und nicht in der Welt.“ 

Die zweite sagt „Du bist verrückt. Stell dich nicht außerhalb der Gemeinschaft. Setz nicht alles aufs Spiel, was wir aufgebaut haben: Das ist doch keine Bekenntnisfrage“ und die dritte Stimme sagt schließlich „Kämpfe, kämpfe mit Geduld. Prüfe. Entscheide. Handle. Natürlich wird sich dadurch nicht sofort alles ändern. Und natürlich kannst du dadurch alles verlieren. Selbst ER, der Anfänger und Vollender des Glaubens, hat die Welt nicht auf einen Schlag verwandelt.“

Er hat die Welt nicht auf einen Schlag verwandelt, aber er hat ein Samenkorn in diese Welt gelegt, das mit einiger Geduld kräftig ausschlagen kann. 

Das ist es, was die Pharisäer resigniert feststellen ließ: 

„Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.“

AMEN

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unser Verstehen und Begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN