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Predigt · Jubiläumsgottesdienstes 60 Jahre Nagelkreuz Alt-Pankow · 12. November 2022 · Pfarrerin Cornelia Kulawik

Posted on Nov 12, 2022 in Predigten

Pfarrerin Cornelia Kulawik, Leitungskreis der Nagelkreuzgemeinschaft D / Ev. Kirchengemeinde Dahlem

Liebe Geschwister in Alt-Pankow, liebe Freunde der Nagelkreuzgemeinschaft,
liebe Fest-Gemeinde,
„Wenn dich einer auf deine rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch noch die
andere hin“? Ist das nicht naiv gedacht, was Jesus hier in seiner Bergpredigt
vorschlägt:
Könnten wir das in diesen Monaten den Ukrainern vorschlagen, die gerade
einen schrecklichen Angriffskrieg erleiden? Wehrt euch nicht? Können wir das
zu denen sagen, die gerade ihr Land, ihre Freiheit und Demokratie verteidigen?
Für unsere Nagelkreuzgemeinschaft, für unsere Kirche, ja für unsere ganze
Gesellschaft wünsche ich mir, dass wir wirklich offen und vorurteilsfrei
diskutieren über die so schwierigen Fragen von Krieg und Frieden, diskutieren
über den Sinn von Waffenlieferungen, diskutieren über solch steile Sätze wie
dieser aus der Bergpredigt:
„Wenn dich einer auf deine rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch noch die
andere hin.“
Ich hoffe, dass wir wirklich ins Gespräch miteinander über solche biblischen
Texte kommen. Gerade unterschiedliche Zugänge, unterschiedliche Erfahrungen
und auch unterschiedliche Standpunkte sind so wichtig.
Wir haben uns ja als internationale Nagelkreuzgemeinschaft 3 Leitziele gesetzt:
1. Das Heilen der Wunden der Geschichte
2. Mit Unterschiedenheit leben und Vielfalt feiern
3. Eine Kultur des Friedens schaffen
Diese Sätze gehören zusammen. Wenn wir es nicht aushalten mit
Unterschiedenheit zu leben und Vielfalt zu feiern, dann werden wir auch keine
Kultur des Friedens schaffen.
Also: Jesus sagt in der Bergpredigt: „Ich sage euch, dass ihr nicht widerstreben
sollt dem Bösen, sondern: Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt,
dem biete die andere auch dar.“
Wie bei vielen biblischen Texten wird hier deutlich: Ich kann sie nicht einfach
aus dem Kontext herausreißen und dann in jeder x-beliebigen Situation wie
einen unumstößlichen Gesetzestext anwenden. Solch einen Umgang mit derBibel würde man „fundamentalistisch“ nennen. „Der Satz steht dort doch so,
also ist es so“. Wenn ich so mit der Bibel umgehe, dann brauche ich nicht mehr
zurückzufragen, nicht mehr zu diskutieren, nicht nachzudenken.
Und bei diesem Satz Jesu ist uns ja allen sofort klar:
Natürlich müssen wir uns schützen, uns verteidigen. Das gilt nicht nur für die
Menschen in der Ukraine. Auch für uns persönlich ist es wichtig, dass wir uns
wehren, wenn uns Unrecht geschieht, dass wir uns natürlich wehren, wenn
jemand uns Gewalt antut, dass wir geschützt werden und vor allem, dass man
alles dransetzt, dass das nicht wieder vorkommt. Dem ersten Schlag auf die
Backe soll ja gerade nicht der zweite folgen. Und einfach immer nur allen
Konflikten auszuweichen, aus Angst zu fliehen, kann auch nicht der richtige
Weg sein.
Was meint also Jesus in der Bergpredigt? Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, es
geht ihm um ein grundsätzliches Durchbrechen des ewigen Kreislaufes von
Gewalt und Gegengewalt, von Aktion und Reaktion. Er möchte diesen Kreislauf
von Angst, Hass, Zerstörung, Schmerz und eine darauffolgende Rache
durchbrechen.
Wie kommen wir da raus und beantworten nicht mehr Böses mit Bösem? Ich
glaube, es geht ihm darum, dass wir eine innere Freiheit gewinnen. Dass wir
frei werden von den Handlungen des anderen. Dass uns nicht der andere
diktieren kann, wie wir handeln, indem wir auf seine Aktionen nur reagieren.
„Wenn er schlägt, ja dann muss ich ja zurückschlagen.“ Dann bestimmt der
andere die Regeln unseres Zusammenlebens. Aber wenn ich selber anders
reagiere, als er es vielleicht erwartet, dann setze ich die Regeln, dann habe ich
das „Heft in der Hand“. Und nur dann, wenn es gelingt, den Kreislauf von
Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen, wird Friede möglich werden.
„Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch
dar.“ Ich verstehe diesen Satz so, dass es Jesus offensichtlich darum ging, eine
Stärke der Angstfreiheit zu entwickeln. Es geht bei diesem Satz nicht um eine
moralische Anweisung oder gar um ein juristisches Gesetz, sondern Jesus geht
es um etwas, das aus einer Sicherheit erwächst, die er selbst in Gott findet und
die er uns weitergeben möchte.
Denn wenn ich selber vor dem anderen keine Angst habe, sondern mich
innerlich frei fühle, kann ich vielleicht auch seine Gewalt, seine Aggression
besser verstehen.Denn wie oft steht doch eigentlich Angst dahinter. Viele, die um sich schlagen,
das kann auch mit Worten oder Gesten sein, die tun das eigentlich aus einer
eigenen inneren Not heraus. Jesus sagt: Schlag nicht gleich zurück. Mach etwas,
was der andere nicht erwartet, zwinge ihn zum Nachdenken, warum er
eigentlich so handelt. Vielleicht wirst du ihm damit helfen können, weil du
selber innerlich stark und frei bist; ihm helfen, andere und bessere Wege für
sich zu finden. Wenn dir das gelingt, dann stiftest du Frieden. Dann könnt ihr
gemeinsam neu beginnen.
„Ich sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen, sondern: Wenn
dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.“
Diese Worte Jesu, die den Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt zu
durchbrechen suchen, finden Sie sinngemäß in allen Religionen. So heißt es z.B.
im Koran: „Gutes und Böses ist wohl nicht einerlei, darum wende das Böse
durch Besseres ab, und dann wird selbst dein Feind der wärmste Freund dir
werden. Aber doch nur die Geduldigen werden dies erlangen, nur die, welche
mit großen und glücklichen Eigenschaften begabt sind.“1
Diese Worte aus dem Koran geben mir den Anlass, einen letzten Wunsch für
unsere Nagelkreuzarbeit auszusprechen:
Wir stehen in besonderer Nähe zu unseren jüdischen Geschwistern. Unsere
europäische Kultur ist von der jüdisch-christlichen Tradition geprägt. Aber es
wird auch immer wichtiger, dass wir das Verbindende zwischen allen
Religionen suchen und bewusst sichtbar machen, dass wir in einen intensiven
Dialog mit dem Islam allen Religionen eintreten, damit wir als Menschen
endlich lernen, alle in Frieden miteinander zu leben.
Amen

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