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Predigt · Reminiszere · 13. März 2022 · Pastor Dr. Thies Gundlach

Posted on Mrz 17, 2022 in Predigten

Psalm 25, 1 -6. 16 – 22

Liebe Gemeinde,

das Leid der Menschen ist unaussprechlich, die Bilder jeden Abend im Fernsehen machen jeden fassungslos, die vielen Geschichten von Getroffenen und Betroffenen, von Flucht und Vertreibung, von Tränen und Tod – sie alle zeigen einen abgrundtiefen Kummer, den die Menschen der Ukraine getroffen hat. Aber wenn ich innerlich einen Schritt zurückzutreten versuche und all die furchtbaren Nachrichten seit dem 24. 2. an Seele, Herz und Verstand vorbeiziehen lasse, dann sind es drei Stichworte, die sich mir immer wieder aufdrängen: dieser Angriffskrieg auf die Ukraine macht mich sprachlos, sinnlos und hilflos!

Zuerst hat es mich sprachlos gemacht, wie zynisch die russische Regierung lügt und alle belogen hat; bei Kindern würden wir von dreisten Lügen reden, also von Lügen, die so schnell durchschaubar sind, dass sie tatsächlich nur Kinder versuchen. Und Lügen haben kurze Beine und machen lange Nasen, auch das wissen alle Kinder; man kann ja nicht ganz abweisen, dass dieser albern lange Tisch, an denen die Regierungschefs der Länder Platz nehmen mussten, die lange Nase symbolisiert. Denn Putin wußte ja längst, dass er Krieg wollte. Und nun dieses immer brutalere, rücksichtslosere Vorgehen gegen alle und jeden, je mehr erfolgreich Widerstand geleistet wird. Aber hier gilt doch auch im übertragenen Sinne dieser berühmte Satz aus der Seenotrettung: „Man bombardiert keine Krankenhäuser, Punkt!“ Es macht doch sprachlos, dass wir zurückgebombt werden ins 20. Jhs und seinen heiß-kalten Krieg.

Sodann wirkt doch alles irgendwie sinnlos: Denn was eigentlich kann herauskommen aus diesem Krieg? Kommunikativ haben die Ukraine, insbesondere aber Präsident Selenski, die Schlacht längst gewonnen („Ich brauche keine Mitfahrgelegenheit, sondern Munition!“). Die russische Kommunikation kann ja nur noch Verbieten, Einschränken, Bedrohen oder absurde Behauptungen aufstellen, alles deutliche Zeichen dafür, dass sie keine plausible, glaubhafte Erklärung für diesen Überfall haben. Und die Ukraine hat Putin auch schon verloren, er kann das Land vielleicht besetzen, aber erobern kann er weder Land noch seine Menschen.

Aber umgekehrt kann sich die Ukraine zwar überraschend und staunenswert wehren, aber militärisch gewinnen kann sie den Krieg gegen Russland kaum, dazu ist Russland einfach zu sehr aufgerüstet. Es ist, als komme jemand mit einem Messer zur Schießerei. Mir zerreißt es jeden Tag das Herz, diese absehbare Niederlage zu ahnen und zugleich mit allerhöchstem Respekt jeden Tag zu begrüßen, an dem die Ukraine sich erfolgreich gegen die Invasion wehrt.

Zuletzt spüre ich mich zunehmend hilflos: Nicht, dass wir in Europa nicht helfen, so gut es geht; und dass jetzt selbst Länder, die bisher bei der Aufnahme von Flüchtenden aus Libyen sehr zurückhaltend waren, nun zu ganz großer Form auflaufen und sehr viele Menschen aus der Ukraine aufnehmen, ist ermutigend. Aber hilflos macht mich der Blick auf das, was wir nicht können: Putin stoppen! Weder mit Sanktionen noch mit Verzicht auf Gasimporte, weder mit finanziellen Bankenausschluss noch mit wirtschaftlichen Strafmaßnahmen können wir ihn stoppen. Ein hoher Militär hat einmal sinngemäß gesagt: Putin kann nur nach vorne, er kann nie zurück. Und Gott sei Dank will niemand noch mehr Krieg riskieren, schon weil die Rationalität von Putin zunehmend unsicher zu sein scheint. Sanktionen sind nötig, aber schnellen Erfolg und also sofortigen Stopp der Invasion erreichen sie nicht. Defensivwaffen an die Ukraine zu liefern ist legitim, aber zugleich beenden sie den Krieg nicht. Und so sehr ich den Mut der zahlreichen Russ*innen bewundere, die gegen diesen Krieg demonstrieren, auch diese jungen Leute verlieren ihre Jugend und Zukunft, ohne dass sie Putin wirklich etwas anhaben können; diese objektive Hilflosigkeit ist zum Verzweifeln.

II.

Sprachlos, sinnlos, hilflos – liebe Gemeinde,

ich habe meine Seelensituation nur unzureichend beschrieben, aber ich bin gewiß, dass Sie in Ihrem Herzen ähnliche Einsichten und Einschätzungen haben. Nur: Was bedeuten sie? Es geht mir heute am Sonntagmorgen nicht die Frage, wie wir militärisch, wirtschaftlich oder kommunikativ auf diesen Überfall auf die Ukraine reagieren sollten, sondern wie geistlich? Wir wollen ja nicht bessere Politiker*innen oder gar Militärs werden, sondern wollen Gott mitreden lassen in unserer inneren Erschütterung! Gibt es Traditionsbestände in Bibel und Glauben, die uns helfen zu verstehen, was da vorgeht? Ich versuche es mit einer Erinnerung daran, was nach christlichem Verständnis das Böse ist.

Man muss keine Theologie studiert haben, um zu sehen, dass der Putin-Krieg die klassischen Bestimmungen der Sünde vollumfänglich erfüllt. Der Theologe Karl Barth hat die Sünde bestimmt als Größenwahn (Hybris), Dummheit (Trägheit) und Lüge! Und wie man durchaus nachvollziehen kann: Lüge macht sprachlos, Dummheit macht hilflos und Größenwahn schafft Sinnlosigkeit. Putin und sein Militärapparat erschaffen so Böses. Was aber weiß unser Glaube eigentlich über das Böse?

In der Tradition Karl Barths heißt es, das Böse sei das Nichtige, d.h.: es ist ohne eigene Existenzkraft, es lebt allein von der Verneinung, das Nichtige verdient daher keinen Respekt, keine hohe Aufmerksamkeit, keine überdehnte Beachtung. Oder anders gesagt: In Gottes guter Schöpfung hat das Nichtige nur einen vergehenden, einen haltlosen, einen instabilen Platz, es verschwindet und vergeht. Denn immer zerstört das Nichtige auf Dauer sich selbst, es überzieht sich selbst mit Größenwahn, Dummheit und Lüge – und vernichtet sich so.

Soweit die christliche Theorie! Aber als Grund und Beleg dafür hat die Theologie immer die Erinnerung an die Passion Jesu Christi aufgerufen, jener Urknall des neuen Lebens, dessen Gravitationswellen uns auch heute noch tragen und trösten können. Der Leidensweges Jesu Christi ist Basis der tief verwurzelten Hoffnung unseres Glaubens, dass das Böse und Nichtige sich nicht auf Dauer stellen kann. Weil Gott in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi das Nichtige überwunden und besiegt hat, hat der Tod als Urbild des Nichtigen nichts mehr zu sagen. Christus hat dem Tode die Macht genommen, so heißt es – ein für alle Mal und damit grundsätzlich und also immer und überall und auch für Dich und mich.

III.

Hilft dies zu wissen, liebe Gemeinde? Tröstet diese Glaubens-erinnerung? Können wir uns auch heute sozusagen einklinken in diese Zuversichts-Kraft? Kann sie uns stärken in der Hoffnung, dass auch dieser brutale Krieg nicht das letzte Wort behalten wird, dass auch er auf Sand gebaut ist und auf Dauer keine Zukunft auferbaut, sondern in sich zusammenfallen wird? Natürlich – die Menschen in der Ukraine leiden und sterben jetzt und heute, Ihnen ist dieser Ausblick, dieser Trost nicht so einfach zuzusagen wie uns selbst, die wir ja noch warm und trocken in der Kirche sitzen. Aber ich davon überzeugt bin, dass jener Glaube an die Überwindung des Nichtigen und Bösen auch in der russisch-orthodoxen und ukrainisch-orthodoxen Christenheit tief verwurzelt ist – trotz der geradezu hahnebüchenden Einlassungen des russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill. Wir Christen können mit Blick auf JC glauben und hoffen, dass auch dieser böse Krieg nichts Dauerhaftes, nichts Kraftvolles, nichts Zukunftsstabiles erreichen wird, sondern dass über kurz oder lang sichtbar wird, wie nichtig, dumm, leer alles ist.

Das ist zugegebenermaßen ein Glaube gegen allen Augenschein, gegen allen Vordergrund, gegen alle Sichtbarkeit, in der so brutal der Stärkere zu triumphieren scheint. Aber dies ist seit Beginn aller biblischen Hoffnung schon so gewesen und deswegen ist es umso heilsamer für Herz und Seele, Gegenworte und Gegengeschichten gegen jenen scheinbar mühelosen Sieg der Macht und des Zynismus zu finden. Deswegen endet heute meine Predigt mit jenen Psalmgebet, der uns diesen Sonntag Reminiszere leiten und halten soll: Psalm 25, 1 -6. 16 – 22Amen