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Predigt · 21. Sonntag nach Trinitatis · 24. Oktober 2021 · Pfarrerin i.R. Ruth Misselwitz

Posted on Okt 26, 2021 in Predigten

Matthäus 4 , 38 – 48

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
heute auf den Tag genau vor 40 Jahren, am 24. Oktober 1981,

– damals war es ein Sonnabend –
haben wir hier in dieser Kirche einen Gemeindetag veranstaltet
unter der Überschrift: „Für den Frieden – gegen Todsicherheit“.


Es begann am Nachmittag und dauerte bis in die späte Nacht.
Viele Künstler, Musiker und Schriftstellerinnen, die wegen ihrer
kritischen Haltung Auftrittsprobleme in der DDR hatten,
gestalteten gemeinsam mit engagierten jungen und alten Menschen
diesen Tag.


Es war die Zeit der physischen und psychischen Vorbereitung auf
einen Krieg zwischen den beiden feindlichen Blöcken in Ost und
West.

Der kalte Krieg drohte in einen heißen umzuschlagen.


Die Ideologie der atomaren Abschreckung verschlang alle
finanziellen und wirtschaftlichen Ressourcen, die dringend für den
Erhalt und den Ausbau einer Gesellschaft gebraucht wurden.


Die Konstruktion von Feindbildern bot das Fundament für Vorurteile,
Misstrauen, Angst und Hass.


Wir wollten da nicht mehr mitmachen, wollten raus aus diesem
Freund- Feinddenken, diesem Schwarz-Weiß-Schema,
das uns geradewegs in eine Katastrophe führen würde.
Wir hatten kein Vertrauen mehr in die Politik der Machthaber und
Militärs in Ost und West.
Wir wollten unser Schicksal selbst in die Hand nehmen,
damit wir und unsere Kinder noch eine Zukunft haben
auf einem Planeten, der noch bewohnbar ist.


„Wir halten unser Schweigen nicht mehr aus“ hieß es in einem Brief
an die Kirchenleitung, der ein Aufruf zur Umkehr aus den
Verstrickungen eines egoistischen Sicherheitsdenkens war
und den 233 Menschen unterschrieben haben.


Das war die Geburtsstunde des Pankower Friedenskreises.
Im November 1981 versammelten wir uns zum ersten mal
und trafen uns von nun an jeden 1.Freitag im Monat
40 Jahre lang bis auf den heutigen Tag.


Unzählige Veranstaltungen haben wir durchgeführt,
inhaltlich getragen von den drei Säulen des konziliaren Prozesses:
Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.
Global Denken – lokal Handeln war die Devise, die unseren Blick
über unsere engen Grenzen hinaus schauen ließ,
um dann konkret und ganz individuell ein verantwortungsvolles
Leben gestalten zu können.


Halt und Orientierung fanden wir in der Gemeinschaft der Gruppe,
der Gemeinde und der Kirche.


Auch nach der Wende blieben wir zusammen, tauschten unsere
Erfahrungen in dem schwierigen Umwandlungsprozess unserer
Gesellschaft in den 1990iger Jahren aus.
stellten uns den neuen Problemen einer kapitalistischen Gesellschaft
und suchten nach Alternativen zu einer gerechten friedlichen Welt.


Wir haben auch die neuen Freiheiten genutzt.
In den gemeinsamen Reisen nach Israel, Georgien, Südafrika, Kuba,
Auschwitz, Bosnien Herzegowina und Serbien trafen wir uns mit
Menschen, die sich wie wir für Frieden und Gerechtigkeit einsetzten und lernten so voneinander.
Unsere letzte geplante Reise nach Russland konnten wir leider wegen
der Coronapandemie nicht antreten.


Wir haben das friedenstheologische und gesellschaftspolitische Profil
unserer Gemeinde und der Kirche mit geprägt.


Nicht immer war der Friedenskreis mit den vielen Menschen aus den
unterschiedlichsten Richtungen für die Gemeinde eine Freude.
Es gab auch Spannungen.
Wir haben sie ausgehalten, haben Kompromisse ausgehandelt,
blieben beständig im Gespräch miteinander und fanden uns am Ende
immer wieder unter dem Kreuz in dieser Kirche zusammen.


Nicht für alle war dieses Kreuz ein Hoffnungszeichen, für manch
eine war es ein Zeichen des Anstoßes und des Ärgernisses.
Aber einig waren wir uns darüber, dass wir wissen wollten,
was dieser Mann, der so schrecklich an diesem Kreuz endete,
mit seiner Botschaft wollte.


Der Bibelkreis war von daher auch die beständigste Gruppe, die sich
über all die Jahre bis in die Gegenwart trifft und hoffentlich weiter
treffen wird.


Wir haben vorhin als Evangeliumslesung einen Text gehört,
der mitten in der Bergpredigt steht.


Die Bergpredigt ist das Zentrum der Botschaft Jesu,
sie steht am Anfang seiner öffentlichen Wirksamkeit und markiert
den Kern seiner Lehre.
Wenn wir uns Christen nennen, kommen wir an ihr nicht vorbei.


Und da geht es auch schon los mit den Problemen.


„Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann biete ihm auch
noch die linke an….liebet eure Feinde und betet für die, die euch
verfolgen……seid vollkommen, wie eurer Vater im Himmel
vollkommen ist.“


„Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen“ –
hat einmal ein Bundeskanzler gesagt und die atomare Aufrüstung
vorangetrieben.


Wir hingegen sahen gerade in dieser total paradoxen Logik einen
Ausweg aus der Sackgasse.


Verhalte dich so, dass dein Gegenüber, der dich als seinen Feind
fürchtet, dich nicht mehr als Feind fürchten muss.


Steige aus aus den üblichen Verhaltensmustern, wo es heißt Auge um
Auge Zahn um Zahn.
Unterbreche die Gewaltspirale, spring aus dem Hamsterrad.


Wenn dich jemand beleidigt, indem er dir auf die Backe schlägt, so
schlage nicht zurück, sondern beschäme ihn, indem du ihm auch noch
die andere Wange hin hältst.
Will dir jemand die Jacke nehmen, so leg auch noch den Mantel drauf
und du wirst erfahren, dass es dich stolz und erhaben macht.
Und deinen Peiniger wird es kränken, weil er dich nicht erniedrigen
kann.


Bete für die, die dir das Leben schwer machen, die in Konkurrenz mit
dir stehen, die dir alles neiden und dein Leben zerstören wollen.


Aber – warum?


Die Antwort Jesu:
Weil ihr Kinder eures Vaters im Himmel seid, der seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute und es regnen lässt über Gerechte und Ungerechte.


Aus Gottes Schöpfung könnt ihr es lernen, dass alle Menschen Gottes
Kinder sind und er nicht die einen den anderen vorzieht.


Ihr sollt den universalen göttlichen Blick erlernen,
der über alle familiären, völkischen und sozialen Schranken hinaus
geht.
Das verstehe ich, wenn Jesus sagt: Darum sollt ihr vollkommen sein,
wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.


Das soll euch unterscheiden von den Heiden, die nur ihresgleichen
anerkennen und zur Seite stehen.


„Wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr
besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden?“


Liebe Schwestern und Brüder,
mit der Bergpredigt kann man sehr wohl auch Politik machen.


Wir haben es damals erlebt, als es mutige Politiker und Politikerinnen
gab, die eine Entspannungspolitik zwischen Ost und West wagten,
die nicht nur nach den eigenen Sicherheitsbedürfnissen fragten,
sondern auch nach denen auf der anderen, der feindlichen Seite.


Der schwedische Ministerpräsident Olof Palme entwickelte 1982 das
Konzept der gemeinsamen Sicherheit, das davon ausging, dass beide
Seiten ein berechtigtes Sicherheitsbedürfnis haben, das von allen
respektiert werden muss.
Und die erste Frage muss sein: Was kann ich tun, damit der andere
sich vor mir sicher fühlt?


Das war damals ein Durchbruch in den verhärteten Fronten
und führte am Ende zum Fall der Mauer in Europa und in unserem
Land.


Wir haben eine friedliche Revolution ohne Blutvergießen erlebt –
in der deutschen Geschichte einmalig.


Liebe Schwestern und Brüder,
das Gebot der Feindesliebe hat nichts mit rührseliger
Versöhnungstheatralik zu tun –
es ist der Ausweg aus unseren zerstörerischen und
menschenfeindlichen Strukturen.


Es ist der universale göttliche Blick,
der die gesamte Menschheit als die eine Familie erkennt,
über die Gott seine Hand hält. und der er in Liebe verbunden ist
im Großen wie im Kleinen.


Nicht immer ist dieses Konzept erfolgversprechend,
Jesus und unzählige andere Propheten und Märtyrerinnen haben dafür
mit dem Leben bezahlt.


Für uns als Christen aber ist es ein Wegweiser, an dem wir nicht
vorbei kommen.
Und solange Menschen in die Bibel schauen, werden sie dieses Gebot
lesen und müssen sich damit auseinandersetzten.


Liebe Schwestern und Brüder,
der Friedenskreis wird nun nach 40 Jahren als Gruppe in der
Gemeinde seine Arbeit einstellen.
Die Zahl 40 ist in der Bibel eine heilige Zahl und markiert einen
Abschnitt.
40 Jahre wanderte das Volk Israel durch die Wüste,
40 Tage und 40 Nächte fastete Jesus in der Wüste,
40 Jahre hat die DDR existiert –

danach kommt etwas Neues.
Wir wissen die Themen des Friedens, der Gerechtigkeit und der
Bewahrung der Schöpfung in dieser Gemeinde gut aufgehoben und
sind auch gerne bereit unsere Erfahrungen hier und da mit
einzubringen.


Aber wir wissen – alles hat seine Zeit –
und unser aller Zeit liegt in den Händen Gottes.
Amen.