//

Predigt · Osterfest · 4. April 2021 · Pfarrerin Stefanie Sippel

Posted on Apr 11, 2021 in Predigten

2. Mose 14, 8 – 14 . 19 – 23 . 28 – 30a; 15, 20f.

Liebe österliche Gemeinde!

Als die Bundeskanzlerin vor einer Woche bei Anne Will auf dem Sofa saß, versuchte sie zu begründen, warum ihrer Meinung nach die beschlossenen Maßnahmen von den Bundesländern weniger streng interpretiert worden seien, als von ihr gewollt. Sie holte Luft und sagte: „Ja, da ist bei manchen so eine Hoffnung, dass die Zahlen wieder runtergehen entgegen unserer Berechnungen.“ Dass die politische Rivalin Hoffnung übt und nicht vielleicht besser nüchterner auf die Zahlen guckt, das war für sie nicht etwa Anlass für Spott. In dem Moment wirkte sie seelsorgerlich echt. Unabhängig vom Inhalt hat mich die ernsthafte Verwendung des Begriffes vor einem Millionenpublikum berührt und damit der Tugend nähergebracht.

Hoffnung. Dieses Wort lässt mich immer zuerst an eine große Jugendstilkirche in der Umgebung und auch an kugelrunde Bäuche denken. Was ist die Hoffnung? Sie klingt schnell wie eine Floskel, wenn das „ich hoffe“ sich austauschen lässt gegen das „ich wünsche“ und „ich finde“. Es wird kaum genauer bestimmt, was die Hoffnung sein soll und wo sie herkommt. Als könne man voraussetzen, dass jede sie zu gewinnen und zu behalten weiß. Sprichwörtlich kommt die Hoffnung dann ins Spiel, wenn alles andere gescheitert ist: sie stirbt zuletzt. Und da überlege ich, ob sich das gerade verändert. Denn inzwischen liest man überall über die Relevanz der Hoffnung. Die Hoffnung war in unserer Kirche zu Weihnachten hoch im Kurs, als die EKBO eine Werbekampagne für die Gemeinden startete mit dem Slogan: „Weil wir Hoffnung brauchen.“ Die Aktion, die nun an Ostern beworben wurde, hieß etwas forcierter: „Weil wir Hoffnung haben.“

Als Gott die Israeliten auffordert, aus Ägypten wegzugehen, erwarten sie eine Verbesserung ihrer Lebensumstände und machen sich auf den Weg. Doch schon während der Verfolgungsjagd kommen Zweifel auf, die sich zu einer Todesangst hochschaukeln. Sie konfrontieren Mose mit Fragen: Gab es in Ägypten keine Gräber, dass wir jetzt hier sind? Die Israeliten sind müde von Jahren der Erniedrigung. Sie wären doch lieber in Ägypten in der Fremde und in der Unterdrückung begraben worden, als auf der Flucht in die Freiheit in der Wüste umzukommen. Sie bereuen, auf Moses Werbung für die Freiheit eingegangen zu sein. Da entläd sich Druck auf vielfältige Weise: Rückzug, Vorwürfe an Verantwortliche, Verleugnung. Wir kennen das. Mose geht nicht darauf ein, sondern sagt: Fürchtet euch nicht. Steht fest und seht zu. Und dann passiert es: Die Wolkensäule stellt sich zwischen die Ägypter und die Israeliten – zur einen Seite hin dunkel, zur anderen leuchtend. Es herrscht Waffenruhe, und am nächsten Tag hebt Mose die Hand, und durch ihn wirkt Gott im Meer, dass die Israeliten hindurchziehen können.

Die Befreiung im Meer stellt für die Israeliten eine Zäsur dar zwischen dem alten und dem neuen Leben. Sie mussten schwer körperlich als Sklaven arbeiten für den Aufbau des Prachtbaus zur Verherrlichung des Pharaos. Sie konnten sich jedoch in der geordneten Zivilisation auf ihre Versorgung verlassen. Mit dem Weggang aus Ägypten bildete sich für sie eine Perspektive, die auf der Freiheit basierte. Es würde eine ausgesprochen harte Zeit folgen mit vielen Entbehrungen von Dingen, die ihnen lange Zeit selbstverständlich vorgekommen waren. Rückschläge und Anstrengungen waren erforderlich, ehe sich die Freude einstellen würde. Sie würden in Zukunft für sich arbeiten und ihr eigenes Land bewirtschaften und einem Oberhaupt dienen, das ihrem eigenen Gott unterstand. Sie kamen weder von den Fleischtöpfen, noch gingen sie ins gelobte Land.

Die Befreiung, wie sie mit der Auferstehung Jesu Christi zum Thema gemacht wird und wie wir sie in der Taufe zugesprochen bekommen, ist ein einmaliger und endgültiger Statuswechsel. Aber der Vollzug ist ein langsamer, der viel Geduld, Beziehungsarbeit und Lernprozesse erfordert. Das Volk bleibt noch 40 Jahre in der Wüste, und auch im gelobten Land sind die Bedingungen nicht ideal. Aber sie sind das erwählte Volk und genießen eine von Gott zugesprochene Freiheit.

Als die Frauen am Grab keinen Leichnam vorfinden und hören, dass Jesus lebt, da kriegen sie Angst und laufen sie weit weg. Sie waren nun nach der Auferstehung Befreite von der Last der Unvollkommenheiten und eingeladen, nach Jesu Weggang mündig zu werden in ihrem Glauben.

Doch sie kamen damit nicht zurecht. Sie konnten auch längerfristig nicht an die Zeit davor anknüpfen. Jesu Lebenszeit ist nicht verlängert worden mit der Auferstehung. Es war schwer, diese Lücke, die er hinterlassen hatte, wieder zu schließen und eigene Wege zu gehen. Alles Gelingen ruhte nun auf den Schultern der Überzeugten. Und sicher wären sie manchmal lieber in die Höhle gekrochen, die Jesu Leichnam geschützt hatte, als rauszugehen und den Auferstandenen in der Welt zu suchen.

In diesen Zeiten sagen wir uns manchmal gegenseitig. Es wird nie mehr so, wie es vor dem März letzten Jahres war. Und damit meinen wir wohl, dass unser Alltag nie mehr wieder so wird, wie wir es uns jetzt wünschen. Die Hoffnung ist, dass wir befreit sein werden von dem, was uns niederdrückt. Also dem Virus und den Konsequenzen von dessen Bekämpfung. Dass wir zurück können in die Zeit, in der wir uneingeschränkt Menschen treffen und mit vielen zusammen kulturelle oder sportliche Veranstaltungen besuchen können. Es zeichnet sich ab, dass eine vollständige Rückkehr vermutlich nicht möglich sein wird, wenn das Virus bleibt. Nun stellt die Zäsur durch die Pandemie keine Befreiung dar, wie sie sich am Sinai und am leeren Grab ereignete. Aber hier ist genauso die Gefahr, durch ein Festhalten am Vergangenen die Zukunft zu verpassen. Anstatt das ehemalige Leben zu betrauern und gar zu idealisieren, ist es sinnvoller nach vorne zu gucken und herauszufinden, wie das Leben in Zukunft aussehen soll. Einige werden noch eine Weile brauchen, bis sie bereit sind, sich Trost zusprechen zu lassen. Die Mutter einer Teenagerin erzählte mir diese Woche, dass ihre Tochter jeden Tag weine und dass ihr das unheimlich schwerfalle, damit umzugehen. Mir kommt es so vor, als keime und wachse das Ostergras schon auf der noch grob durchfurchten Erde, in der ausgerissene Wurzeln und das alte vertrocknete Gras das Bild dominieren. Eine seltsame Mischung aus Abbrüchen und Aufbrüchen müssen wir alle verarbeiten.

Diejenigen, die es weniger hart getroffen hat, die können sich das vielleicht schon vorstellen, dass es möglich ist, sich zu arrangieren und neue Maßstäbe zu setzen, die sich irgendwann ein bisschen nach gelobtem Land anfühlen werden. Und das verbinde ich mit dem Begriff Hoffnung. Es ist keine Hoffnung auf eine Nach-Corona-Zeit, sondern auf einen neue Perspektive mit Virus. Weil wir als die in der Auferstehung Befreiten immer die Zusage einer Zukunft haben. Für Gott sind wir die, denen er seine Welt anvertraut hat. An uns sind große Erwartungen gestellt füreinander und für die Schöpfung da zu sein. Die Hoffnung drückt sich aus in allem, was wir uns als Gesellschaft erarbeitet haben. Der Freiheit, sich zu bewegen, einen Beruf zu ergreifen und eine Familie zu gründen, etwas zu besitzen und Aufgaben zu übernehmen, eine Religion auszuüben, eine Regierung zu wählen, seine Meinung zu äußern. Nach langer Entbehrung einiger Freiheiten besteht die Chance, dass wir diese besser zu schätzen wissen und mehr daraus machen werden. Vielleicht werden wir gelernt haben, einander zu trösten. Vielleicht werden wir großzügig sein gegenüber denen, die die Verlierer*innen dieser Pandemie oder schon davor dieser Weltwirtschaft gewesen sind. Vielleicht werden wir flexibler und dankbarer sein und der Verteilung von Arbeit und Freizeit einen anderen Stellenwert beimessen, religiöser sein und achtsamer gegenüber Erkrankten und Menschen, die sozial benachteiligt sind. Darauf hoffe ich.

Kommen wir noch einmal zurück zur Hoffnung. Jemand, der auf eine Verbesserung seiner Situation hofft, der macht es sich nicht einfach. Jemand, der hofft, der harrt aus in Geduld, ohne den Ausgang seiner Mühe zu kennen und den Gegenstand seiner Sehnsucht zu sehen. Anhaltend zu hoffen und dem Taten folgen zu lassen, das erfordert Entschlossenheit, Klugheit und Stärke. Als die Emmausjünger einen Fünkchen Hoffnung wiedererlangt hatten, kehrten sie sofort um nach Jerusalem. Jesu aufsuchende Sorge bei dem Spaziergang nach Emmaus mit zwei Brüdern kurz nach der Auferstehung wird zum Vorbild für Hoffnungssituationen wie sie in unserer Zeit möglich sind. Fürchtet euch nicht! Steht fest und seht zu!

Amen.