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Predigt · Christnacht · 24. Dezember 2018 · Pfarrerin i.R. Ruth Misselwitz

Posted on Dez 30, 2018 in Predigten

Hesekiel 37, 24 – 28

„Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth,
in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil
er aus dem Hause Davids war.“


Liebe Schwestern und Brüder,
der Evangelist Lukas, der uns diese Geburtsgeschichte erzählt,
will mit allen Mitteln nachweisen,
dass Jesus der ersehnte Messias ist,
der nach den Prophezeiungen der alten Propheten aus dem Stamme
Davids kommt und in Bethlehem geboren wird.


Er setzt von daher alles in Bewegung, um Josef und Maria aus
Nazareth nach Bethlehem zu bringen.


So spricht Lukas von einer großen Volkszählung, die der römische
Kaiser Augustus angeordnet hat, nach der alle in ihre Geburtsstätten
wandern sollten, um sich dort schätzen zu lassen,
obwohl es historisch gar nicht nachweisbar ist, dass es solch eine
Zählung tatsächlich gegeben hat.


Aller Wahrscheinlichkeit nach ist Jesus in Nazareth geboren und
aufgewachsen, worauf sein Name „Jesus der Nazarener“ hinweist.
Nach dem damaligen Brauch wurde dem Namen der Geburtsort
hinzugefügt.


Aber Lukas will eine direkte Linie zum Geschlecht Davids ziehen,
von dem die Propheten kündeten, dass aus diesem Stamm der
Messias kommen würde.


Über Josef, der in den Stammbaum Davids eingeordnet wird,
erhält sein Sohn Jesus diese Verbindung zum König David –
allen späteren christlichen Konstruktionen zum Trotz,
dass Maria eine Jungfrau war und Josef sie nicht angerührt hätte.


Aber halten wir uns nicht länger an diesen Ungereimtheiten auf,
spüren wir lieber der Botschaft nach, die uns die Bibel in dieser
Geschichte mitgeben will.


Liebe Schwestern und Brüder,
wir Christen feiern zu Weihnachten die Geburt Jesu, den wir als den
Messias bekennen.


Und wir bedienen uns der alttestamentlichen Texte,
die die Hoffnung und die Sehnsucht nach einem Messias zum
Ausdruck bringen,
der dieser unserer Welt Frieden und Gerechtigkeit bringen will.


So auch in dem Text von dem Propheten Hesekiel, der für diese
Christnacht als Predigttext vorgeschrieben ist: Hesekiel 37,24-28


24 „Mein Knecht David wird über sie König sein, und es wird
ein Hirte über alle sein, und sie werden in meinen Rechten
und Gesetzen gehen und sie wahren und sie tun.
25 Und sie werden wohnen in dem Land, das ich meinem Knecht,
Jakob gegeben habe und in dem eure Väter gewohnt haben,
und sie werden darin wohnen, sie und ihre Kinder und
Kindeskinder für immer, und David, mein Knecht, wird Fürst
über sie sein für immer.

26 Und ich werde mit ihnen einen Bund des Friedens schließen,
ein ewiger Bund wird das sein mit ihnen, ich pflanze sie ein,
ich mehre sie und ich gebe mein Heiligtum in ihre Mitte auf
immer.

27 Meine Wohnung wird über ihnen sein auf ewig, und ich werde
ihnen zum Gott, und sie werden mir zum Volk.
28 Und die Völker werden erkennen, dass ich, der HERR, es bin, der Israel heilig macht, indem ich mein Heiligtum mitten
unter ihnen sein lasse.“


Der Prophet Hesekiel hat diese Vision fern ab von der Heimat Israel
in der babylonischen Gefangenschaft aufgeschrieben.
Jerusalem und der Tempel sind zerstört, das Volk Israel ist heimatlos.


In diese Verzweiflung hinein pflanzt der Prophet die zarte Blume der
Hoffnung,
der Hoffnung auf Rückkehr in die Heimat,
in deren Mitte Gott sein Heiligtum aufschlagen wird,
dass Frieden und Gerechtigkeit garantiert.


Und dieser Frieden wird dann weit über Israel ausstrahlen auf alle
Völker,
und alle Völker werden dann erkennen, dass der Gott Israels der Gott
aller Völker sein will und sie in seinem Frieden vereinen will.


Liebe Schwestern und Brüder,
eine wunderbare Vision vom Weltfrieden,
die die ersten Christen in Jesus, dem Nazarener verwirklicht sahen.


Sie waren davon überzeugt, dass dieser Frieden Wirklichkeit wird,
wenn alle Völker über Jesus den Zugang zum Gott Israels finden
und sich dann alle als eine große Geschwisterschar erleben.


Heute wissen wir, dass sich diese Hoffnung immer noch nicht erfüllt
hat.
Im Lande Israel, das von dem Propheten Hesekiel als die heilige
Wohnstätte Gottes prophezeit wird, in der der ewige Bund des
Friedens sein soll,
toben die erbittertesten Kämpfe um Land, um Macht, um Religionen.


Die drei Geschwisterreligionen, die sich alle auf den Erzvater
Abraham berufen und den gleichen Gott anbeten –
die Juden, die Christen und die Moslems,
bekämpfen sich, verweigern sich gegenseitig den Respekt und das
Recht auf Heimat.


Wenn die palästinensischen Christen heute in Bethlehem
Weihnachten feiern, dann geht das keineswegs besinnlich und
friedlich zu,
dann ist die Stadt voller Soldaten, die eine erhitzte Menge unter
Kontrolle halten soll
und Angst wird sein auf allen Seiten.


Liebe Schwestern und Brüder,
wie sieht es denn nun aus mit der Friedensbotschaft der Engel an die
Hirten:
„Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allen Völkern
widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren. Ehre sei
Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein
Wohlgefallen.“


Was ist von dieser Engelsbotschaft übrig geblieben?
Ist da irgend etwas in Erfüllung gegangen oder hat sie sich erledigt?


Nein – liebe Schwestern und Brüder –
die Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit
und der Glaube an die Liebe und Menschenfreundlichkeit Gottes,
die sich uns in dem kleinen Kind in der Krippe offenbart hat,
ist nicht tot zu kriegen.
Gott sei Dank !


Wir Christen schöpfen diese Hoffnung aus dem Leben und den
Lehren Jesu Christi,
die Juden schöpfen ihre Hoffnung aus den prophetischen Büchern
und für die Moslems ist die Quelle des Friedens der Koran – verbunden sind wir alle mit dem einen Gott,
der der Schöpfer des Himmels und der Erde ist
und der sich mit den Menschen verbunden hat in Liebe und
Barmherzigkeit.


Liebe Schwestern und Brüder,
Jerusalem ist der Ort und die Stadt, an der die Menschheit sehen
kann,
in welchem Zustand sich die Welt befindet.


Wir müssen bei diesem Anblick leider feststellen,
dass dieser Zustand sehr besorgniserregend ist.


Schauen wir auf den Rest der Welt, dann sieht das nicht anders aus.


Aber, liebe Schwestern und Brüder, schauen wir doch ein mal
genauer hin in diese Stadt und in diese Welt.


Da sehen wir mitten in dieser aufgeheizten und feindlichen
Atmosphäre Männer und Frauen, die sich gegen Hass und Gewalt
auflehnen und die sich für Frieden und Versöhnung einsetzen.


Ich nenne nur zwei von vielen Organisationen in diesem Land:
Da gibt es die „women in black“, jüdische Frauen, die das Ende der
israelischen Besatzung und einen gerechten Frieden fordern.


Und da gibt es die Organisation: „Rabbiner für Menschenrechte“, in
der sich Rabbiner und Rabbinerinnen für Palästinenser einsetzen, die
von ihrem Land vertrieben werden.


Und wenn wir über Israel hinaus schauen, dann sehen wir überall auf
der Welt Männer und Frauen, die Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem
Ertrinken retten,
die als „Ärzte ohne Grenzen“ freiwillig Kranke versorgen,
die als Aktivisten in der Organisation „ohne Rüstung leben“ den
Wahnsinn der weltweiten Aufrüstung anprangern,
da gibt es die mutigen Männer und Frauen, die bei Greenpeace sich
für den Schutz der Natur einsetzten.


Ja, die Friedens-Botschaft der Engel für diese Welt bleibt nicht
ungehört – sie verhallt nicht im Dunkeln.


Überall und zu jeder Zeit gibt es Menschen, die sie hören und sich
aufmachen und sie umsetzten in die Realität.


Die Botschaft an die Hirten heißt: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich
verkündige euch große Freude, die allen Völkern widerfahren wird.


Wenn wir begreifen, dass Gott uns alle meint,
dass wir als gesamte Menschheit als seine Töchter und Söhne leben
dürfen,
wenn wir aufhören, uns gegenseitig abzugrenzen, gering zu schätzen,
zu qualifizieren in richtige oder falsche Religionen,


wenn wir uns berühren lassen von Gottes Menschenfreundlichkeit
und selber diese Menschenfreundlichkeit weiter geben,
dann ist die Weihnachtsbotschaft bei uns angekommen,


und das Wort des Propheten Jesaja bekommt eine reale Chance:

„denn uns ist heute ein Kind geboren in der Stadt Davids –
auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf
dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er´s stärke und
stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.
Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaot, des Herrn der
himmlischen Heerscharen.“ (Jes. 9,5ff)

Amen