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Predigt · 19. Sonntag nach Trinitatis · 26. Oktober 2014 · Rundfunkgottesdienst · Pfarrerin Ruth Misselwitz · Uta Brux

Posted on Okt 30, 2014 in Predigten

Micha 4, 1 – 5

Predigt Teil 1, Pfarrerin Ruth Misselwitz

Der Friede Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die
Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns allen.


Liebe Schwestern und Brüder,
als am 9.November vor 25 Jahren sich die Mauer öffnete,
glaubten wir zu träumen.
40 Jahre war unser Land und unsere Stadt geteilt als eine Folge der
deutschen Schuld an zwei Weltkriegen.
Und durch Europa zog sich eine Todeslinie zwischen Ost und West.


Der Fall der Mauer aber war nicht ein Ereignis, das plötzlich vom
Himmel fiel.
Unzählige Menschen in Ost und West taten sich schon Jahre davor
zusammen, weil sie Angst vor einem drohenden Atomkrieg hatten.


Auch wir versammelten uns hier in dieser Kirche zu unserer ersten
Veranstaltung am 24. Oktober 1981 unter der Losung
„Für den Frieden – gegen Todsicherheit“ –
das war die Geburtsstunde unseres Pankower Friedenskreises.


Wir hatten damals mehr Angst vor dem Krieg als vor staatlichen
Repressalien
und die Stationierung von Atomwaffen gab uns keine Sicherheit –
im Gegenteil.


Wir erlebten eine zunehmende Militarisierung der Gesellschaft,


wir waren empört über die ungerechte Verteilung der Güter auf dieser
Welt zwischen Armen und Reichen
und wir erkannten mit Sorge, wie die Schöpfung zerstört und
ausgeplündert wird von einer gewissenlosen Profitgier.


So wollten wir nicht weiter machen.


Es begann der lange und mühevolle Weg des konziliaren Prozesses,
der in der DDR am 13. Februar 1989 in Dresden seinen Höhepunkt
fand mit der Veröffentlichung der 12 Texte zu den drei Säulen:
Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.


Sie bildeten die Grundlage für die friedliche Revolution im Herbst
1989.


In diesem Prozess lernten und praktizierten wir Demokratie und
Freiheit.
Wir nahmen uns die Freiheit, eigenständig zu denken und zu handeln,
wir haben nicht darauf gewartet, dass man sie uns schenkt.


Wir haben erfahren, dass der Weg in die Freiheit mit dem Aufwachen
aus dem Dämmerschlaf beginnt,
dem Verweigern der verabreichten Beruhigungspillen,
dem Durst nach Wissen und dem Hunger nach Gerechtigkeit.


Wir haben uns nicht mit den bestehenden Verhältnissen zufrieden
gegeben und suchten nach Gemeinschaft, in der Orientierung und Halt
zu finden ist.


Wir haben diese Gemeinschaft unter dem Dach der Kirche gefunden.


Wir träumten den Traum von einem Frieden, der alle Völker umfasst,
in dem keiner mehr das Kriegshandwerk lernt und jeder unter seinem
Weinstock sitzt ohne vertrieben zu werden.

Wir kamen diesem Traum am 9. November 1989 wunderbar nahe.
Es ist kein Blut geflossen.


Das haben wir allen Akteuren, national und international, in Ost und
West zu verdanken, die bereit waren, sich an einen Tisch zu setzen
und zu verhandeln, ohne mit Waffen zu drohen.


Und wir haben das insbesondere dem damaligen Staatschef der
Sowjetunion Michael Gorbatschow zu verdanken,
der von einem vereinten friedlichen Europa träumte,
in dem auch Russland fest verankert ist.


Für diese Vision musste er bitter bezahlen.


Westeuropa hat ihm die gewaltlose Auflösung des Militärbündnisses
„Warschauer Pakt“ als Schwäche ausgelegt
und darauf mit der Ausdehnung der Nato bis dicht an die Grenzen
Russlands geantwortet.


Heute – 25 Jahre danach – ist durch den Konflikt in der Ukraine der
Frieden in Europa wieder gefährlich ins Wanken geraten.


Medial wird aufgerüstet und durch ungenaue oder falsche
Berichterstattung Öl ins Feuer gegossen.


Wir erleben, wie zerbrechlich dieser Frieden ist.


Auf der anderen Seite werden aber auch wieder die
friedenstheologischen und friedenspolitischen Konzepte aktuell,
die uns damals einen Ausweg aus der Sackgasse gewiesen haben:


Das Konzept der Gewaltlosigkeit und Entfeindung aus der
Bergpredigt,
das uns Jesus in dem Gebot der Feindesliebe anbietet
und das Konzept der gemeinsamen Sicherheit von Olof Palme,
das ein berechtigtes Sicherheitsbedürfnis auch der anderen –
der feindlichen – Seite zubilligt.


Nur die Bereitschaft, in dem feindlichen Gegenüber einen Menschen
zu entdecken, der auch ein Recht auf Leben und Sicherheit hat,
ermöglicht das Öffnen von verschlossenen Türen
und den Beginn von Verhandlungen.


Und das hat nichts mit Blauäugigkeit zu tun –
das gebietet einfach die Vernunft, um zu überleben in einer Welt,
die voll von A- B- und C-Waffen ist.


Wir haben erlebt, dass diese Konzepte zum Erfolg führten,
es ist kein Blut geflossen, das kann uns keiner mehr nehmen.


In diesem Sinne und auf Grund dieser Geschichte hat Deutschland in
der Tat eine internationale Verantwortung, die auszubauen dringend
nötig ist.


Die biblischen Texte wie die von dem Propheten Micha und die von
dem Messias Jesus haben bis heute ihre Kraft nicht verloren.


Sie geben Hoffnung und Orientierung,
sie sind Vermächtnis und Verpflichtung.


Lassen wir uns auf sie ein und vertrauen wir dem Gott des Friedens
und der Gerechtigkeit,
dann wird er an unserer Seite sein.


Ein Lied, das wir hier in dieser Kirche oft gesungen haben, hören wir
nun „Das weiche Wasser bricht den Stein“ von der Gruppe Bots…

Predigt Teil 2 Uta Brux

Liebe Gemeinde,
ich habe in den vergangenen Wochen und Monaten oft den
Geschichten aus der Zeit der friedlichen Revolution zugehört. Und ich
habe immer noch Hunger nach mehr.


Die Tatsache, dass es die friedliche Revolution gab, ist für mich so
wunderbar und geschichtsträchtig, dass mich seitdem die Frage
umtreibt: Wie ist so etwas möglich und was ist aus diesem Aufbruch
geworden?


Es ist gut, wenn man Menschen, die bei solchen wichtigen
zeitgeschichtlichen Ereignissen dabei waren, fragen kann: Wie war das
damals? Warum nahmen die Ereignisse genau diesen Verlauf? Wie war
das möglich? Und: Wo warst Du damals?


Als die Mauer fiel, war ich 17 Jahre alt und lebte in einer sächsischen
Kleinstadt. Die Veränderungen, die im ganzen Land im Gange waren,
machten auch vor unserer Schule nicht Halt. Jeder musste sich
positionieren und ich erlebte damals meine eigene Wendegeschichte.


Das Engagement der Friedens- und Oppositionsgruppen war für mich
weiter weg, aber wir sogen alles auf, was wir von dort an
Informationen bekommen konnten.


In den darauf folgenden 25 Jahren habe ich immer wieder
abwechselnd im Osten und im Westen Deutschlands gelebt. Egal wo
ich war, hat mich immer wieder die Frage beschäftigt, wo eigentlich
die Erfahrungen aus der Zeit zwischen dem Herbst 89 und dem 3.
Oktober 1990 abgeblieben sind. Diese Aufbruchsstimmung, der Wille
zur grundlegenden Veränderung im Land und die Kreativität, die aus
allen Ecken hervorbrach, sind im vereinigten Deutschland weitgehend
verloren gegangen. Sie fehlen mir.


Vor einigen Monaten kam ich zum Pankower Friedenskreis – vor
allem deshalb, weil hier die aktuellen politischen Fragen auf dem
Erfahrungshintergrund der friedlichen Revolution diskutiert werden.


Das war für mich wie ein Nachhause Kommen, weil mich diese
Geschichte als Jugendliche geprägt hat und bis heute nicht loslässt.
Vieles, was die Gruppen in der DDR vor 25 Jahren gegen große
Widerstände ausprobiert und eingeübt haben, ist auch richtungweisend
für die Gegenwart.


Mir macht es Mut, dass in einer Situation, in der alles in bekannten
Bahnen zu verlaufen schien, gegen alle Wahrscheinlichkeiten schon
einmal eine so grundlegende Veränderung möglich war.


Ich glaube, wir brauchen diese grundlegende Veränderung heute
wieder,


die Fähigkeit, genau hinzusehen, was um uns herum geschieht, uns
Informationen zu beschaffen, um die Lage beurteilen zu können,


die Fähigkeit, zu analysieren, sprachfähig zu werden und Kritik zu
üben.


Wir brauchen sie wieder,


die Suche nach Alternativen, wo von Alternativlosigkeit die Rede ist.


Wir brauchen auch wieder den Aufbruch und den Mut, für die eigenen
Überzeugungen einzustehen, nicht einfach hinzunehmen, was ist, und
sich nicht unterkriegen zu lassen.

Und wenn alle sagen „Das geht nicht.“ – es trotzdem zu versuchen.


Wir brauchen heute genauso dringend wie damals die Kenntnis
gewaltfreier Konfliktlösungsmodelle und den unbedingten Willen,
„dem Frieden mit gewaltfreien Mitteln zu dienen“, so wie es die
Ökumenische Versammlung 1989 in Dresden formulierte.


Wo wären wir denn heute, wenn damals niemand die Veränderung
eingefordert und auf neue Wege vertraut hätte?


Es steht außer Frage, dass es Kraft kostet, immer wieder gegen den
Zeitgeist für die eigenen Überzeugungen einzustehen und gegen den
Strom zu schwimmen.


Da helfen – heute wie damals – biblische Texte wie der im Buch des
Propheten Micha, solche Texte, die Mut machen, über die bestehenden
Verhältnisse hinaus zu denken und sich vorzustellen, was eigentlich
undenkbar erscheint – ein Friedensreich, in dem Menschen nicht mehr
lernen, gegeneinander Krieg zu führen. Heute heißt das, sich für
Entmilitarisierung einzusetzen und sich in gewaltfreier
Konfliktbearbeitung zu üben.


Und Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden, bedeutet für uns,
Rüstungsindustrie in zivile Industrie umzuwandeln.


In diesem Friedensreich hat jeder das Recht, unter seinem Weinstock
und Feigenbaum zu wohnen, ohne dass jemand ihn schreckt. Das heißt
ganz aktuell, dass alle Völker ein Recht auf Frieden und Sicherheit und
ein gutes Leben haben. Niemand wird mehr vertrieben von seinem
Grund und Boden, aus seinem Haus und aus seinem Land. Keiner
muss mehr zum Flüchtling werden.


Wir wissen, die Realität sieht anders aus, aber wir halten fest an dieser
Vision und wir werden nicht müde, danach zu suchen, wie wir einer
solchen Vision von Frieden und Gerechtigkeit Schritt für Schritt näher
kommen können.


Und neben biblischen Texten haben wir einen zweiten Schatz, der uns
stark macht und auf den wir bauen können, nämlich die Erfahrung dass
es vor 25 Jahren schon einmal gelungen ist, neue Wege zu gehen und
Veränderungen herbeizuführen, die sich keiner hatte träumen lassen.


Amen.