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Predigt · 2. Sonntag nach Trinitatis · 22. Juni 2014 · Pfarrerin Ruth Misselwitz

Posted on Jun 23, 2014 in Predigten

5.Mose 6, 4 – 9

Liebe Schwestern und Brüder,
der Predigttext für den heutigen 2. Sonntag nach Trinitatis kommt aus
dem 5. Buch Mose im 6. Kapitel.


Text lesen


Als ich in der Vorbereitung diesen Text sah, war ich ganz aufgeregt,
und eine tiefe Freude breitete sich in mir aus.
Dieser Text ist nämlich der wichtigste und zentralste Text, den das
Judentum hat.
Es ist das Glaubensbekenntnis der Juden – das schema jisrael – höre
Israel.
Es ist der Text, der in einem jüdischen Gottesdienst den Höhepunkt
und Mittelpunkt bildet.


schəma jisrael adonai elohenu adonai echad


Höre Israel, Adonai ist unser Gott, Adonai ist einer


So kurz und doch so inhaltsreich ist das jüdische Credo.


Hinter dem Wort „Adonaj“ verbirgt sich im hebräischen Text der
Bibel der Name Gottes – nämlich: „Jahwe“,
den ein frommer Jude nicht auszusprechen wagt, weil der Name
Gottes zu heilig ist für einen menschlichen Mund.


Statt dessen sagen die Juden an dieser Stelle Adonai – das heißt:
Mein Herr.
Martin Luther übersetzt Jahwe mit „Herr“
und hat so Gott in ein rein männliches Bild gefasst.
Der Name Gottes aber ist weder männlich noch weiblich –
er bezeichnet eine Seinsform.


Der Name „Jahwe“ kann verschiedenartig übersetzt werden.
Es kann heißen: „Ich bin, der ich sein werde“ oder „Ich bin da“
oder „Ich bin mit dir“


Der Gott Israels ist ein Gott, der mitgeht,
ein Gott, der sich in Beziehung setzt zum Menschen,
ein Gott, der da ist, präsent ist, der überall ist,
unsichtbar, aber gegenwärtig.


Martin Buber, ein jüdischer Theologe sagte: „Es gibt in Wahrheit kein
Gott-Suchen, weil es nichts gibt, wo man ihn nicht finden könnte.“


Adonai echad – Adonai ist einer!


Das klare Bekenntnis zum Monotheismus.


Erst im 6. Jahrhundert vor Christus in der babylonischen
Gefangenschaft der Juden so klar definiert – aus dieser Zeit kommt
das 5. Buch Mose.
Im Angesicht der gewaltigen Tempel und Götterstatuen der
Babylonier – gibt es hier ein klares Bekenntnis zum höchsten,
zum unsichtbaren Gott Israels.


Adonai ist der Schöpfer des Himmels und der Erde,
Adonai ist der Schöpfer des Menschengeschlechtes – der Schöpfer
aller Völker,
der Schöpfer aller Kreaturen.
Außer ihm gibt es keinen anderen Gott, den Israel anbeten soll,
er ist der höchste, der einzige,
in ihm vereinigen sich alle Götter dieser Welt
zu dem Einen oder der Einen.
Und ich zitiere hier noch einen jüdischen Theologen: Pinchas Lapide, der sagt: „Wenn ich den Glauben Israels auf ein einziges Wort
reduzieren müsste, würde ich sagen, Einheitsdurst: Ein und einzig ist
der Gott der Welt, der ein einziges Weltall schuf, dessen
grundliegende Einheit im hebraisierenden Begriff „Universum“ ihren
beredtsten Ausdruck findet.“


Aus dieser Einheit leitet sich auch die Einheit der Menschenvölker
ab, die alle ihren Ursprung im ersten Menschen – Adam- haben.
Die Gottebenbildlichkeit, nach der Adam geschaffen wurde, gilt nun
auch für alle seine Nachkommen.


„Du sollst Adonai, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von
ganzer Seele und mit all deiner Kraft.“


Es ist das erste mal in der Menschheitsgeschichte, dass eine Religion
gebietet, Gott zu lieben.
Hier steht nicht „fürchten“ oder „dienen“ oder „gehorchen“ – hier
steht: Lieben.
Das erste und oberste Merkmal dieser Gottes-Beziehung ist die
Liebe.


Und nun, liebe –Schwestern und Brüder, kommt noch eine
aufregende Komponente hinzu.
Wir machen einen großen geschichtlichen Sprung – ca. 500 Jahre
später – da erzählt uns der Evangelist Markus im 12. Kapitel, wie
Jesus mit den Schriftgelehrten ein Streitgespräch führt.
Und einer fragt ihn, was denn das höchste Gebot wäre.
Er will Jesus prüfen, ob er sich in den Gesetzen des Mose auskennt.
Aber Jesus ist ein frommer Jude, ein Schriftgelehrter, ein Rabbiner,
der sich auskennt in den Heiligen Schriften und in der Tradition des
jüdischen Volkes.
Jesus antwortet: Das höchste Gebot ist das: Höre Israel, adonai ist
unser Gott, Adonai ist einer. ( schema jisrael, adonai elohenu, adonai
echad)
Und Jesus fügt dem noch ein zweites Gebot aus dem 3. Buch Mose
(3. Mose 19,18) hinzu:
Das andere ist dies: „Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich
selbst“ Es ist kein anderes Gebot größer als diese. (Mark. 12,28-34)


Liebe Schwestern und Brüder, neben die Liebe zu Gott setzt Jesus die
Liebe zum Nächsten.
Die Liebe zwischen Gott und Mensch ist der Beginn des
Menschseins.
Weil wir von Gott geliebte Geschöpfe sind, dürfen wir leben.


Und weil wir von Gott geliebt sind, dürfen auch wir uns lieben –
liebe deinen Nächsten wie dich selbst.
Wir sollen ihn nicht mehr lieben,
oder uns gar nicht lieben,
wir sollen unseren Nächsten lieben wie uns selbst.


Und das bedeutet, meinen Nächsten als eben so ein von Gott
geschaffenes und geliebtes Geschöpf annehmen,
wie ich es für mich auch annehmen und glauben darf,
mit all meinen Höhen und Tiefen,
mit all meinen Licht- und Schattenseiten.


Das ist eine wunderbare Botschaft.


Wenn wir dieses in all seiner Tiefe begriffen haben,
wenn wir das glauben können,
dann sind wir gerettet,
dann ist die Welt gerettet.


Liebe Schwestern und Brüder,
es ist eine tiefe Sehnsucht in uns Menschen,
die Sehnsucht nach dieser Einheit,
der Einheit mit Gott und der Einheit mit den Menschen.

Diese Sehnsucht ist so stark, dass sie sich immer wieder gegen
Mauern und Grenzen auflehnt,
Diese Sehnsucht hat einen Namen: Liebe.


Und der Heilige Geist, der die ganze Welt und den gesamten Kosmos
umspannt und zusammenhält, will uns zu dieser Einheit führen.
Diese Einheit hat nichts mit Gleichmacherei oder Machtanspruch
zu tun.


Dieses Bekenntnis wurde vor 2500 Jahren von den Juden nach einer
der größten Niederlagen ausgesprochen –
der Zerstörung des Staates Israels, der Zerstörung der Hauptstadt
Jerusalems und des Tempels.


Es ist das Bekenntnis der Besiegten und Gedemütigten
gegenüber den Siegern.


Es ist die Sehnsucht nach Frieden, nach Gerechtigkeit, nach der
Einheit, die alles umfasst.


Diese Einheit, die Gott uns hier verheißt ist die Vollendung und die
Harmonie aller Farben und Töne dieser Welt.


Wie der Regenbogen die Farben der Welt in vollendeter Harmonie
zusammen führt und so den Bogen zwischen Himmel und Erde
schlägt und beides miteinander verbindet,
so will Gott uns in all unserer Unterschiedlichkeit zusammenführen
und den schalom – den Frieden in uns und zwischen uns schaffen.


Dieses wünschen wir für die beiden Täuflingen Julian und Loris
und auch für uns.
Amen