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Predigt · Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres · 13. November 2011 · Pfarrerin Renate Kersten

Posted on Nov 20, 2011 in Predigten

Liebe Gemeinde,


nach einer Woche, in der in den Nachrichten die Schuldenkrise
dominiere, steht mir der Sinn am Sonntag nach anderen
Themen. Spiritualität wäre so ein Thema. Erfahren, dass Gott
weiter und größer ist als unser Klein-Klein. Sich auf die andere
Welt Gottes besinnen. Doch als Predigerin soll ich mich heute
einem Abschnitt aus dem Lukasevangelium widmen, der eher
unseren Nachrichten ähnelt. Hören Sie selbst:


Er sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann,
der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er
verschleudere ihm seinen Besitz. Und er ließ ihn rufen und
sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft
über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter
sein. Der Verwalter sprach bei sich selbst: Was soll ich tun?
Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch
schäme ich mich zu betteln.
Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser
aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde. Und er
rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich,
und fragte den ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?
Er sprach: Hundert Eimer Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm
deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig.
Danach fragte er den zweiten: Du aber, wie viel bist du
schuldig? Er sprach: Hundert Sack Weizen. Und er sprach zu
ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.
Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug
gehandelt hatte; denn die Kinder dieser Welt sind unter
ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.
Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten
Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in
die ewigen Hütten.


Die Geschichte selbst ist wenig spektakulär. Der Verwalter hat
Geld veruntreut, soll fristlos gekündigt werden. Weil so etwas
sich schnell herumspricht, kann er nicht damit rechnen, neue
Anstellung zu finden. Und jetzt? Für körperliche Arbeit hält er
sich für ungeeignet, eine Grundsicherung gab es damals nicht,
und betteln will er verständlicherweise nicht. Also hält er die,
deren Schulden er verwaltet hat, dazu an, die
Schuldverschreibungen zu fälschen, um später an ihre Tür zu
klopfen und zu sagen: „Du schuldest mir noch einen Gefallen.“
Eine Hand wäscht die andere. Solche Geschichten ereignen
sich täglich. Der Skandal ist: Es steht in der Bibel – und wird
positive bewertet. Aber – und hier wird es schwierig – nicht mit
einer eindeutigen Anweisung. Es wäre z.B. ein revolutionärer
Schluss denkbar gewesen: Nehmt den Reichen ihr Geld und
gebt es den Armen. Die Robin-Hood-Variante würde aus
diesem Verwalter einen Revolutionär im Kleinen machen und
den Eigennutz herunterspielen. Schließlich nahm er von dem
Reichen und half den kleinen Schuldnern. Doch Jesus schließt
diese Geschichte nicht ab, wie Brecht es vielleicht getan hätte.
Jesus sagt:

Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug
gehandelt hatte; denn die Kinder dieser Welt sind unter
ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.
Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten
Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in
die ewigen Hütten.“


Ziel ist weder das Geld noch das Überleben. Ziel sind die
„ewigen Hütten“. Wie im Evangelium geht es um das Reich
Gottes und um die Perspektive der Ewigkeit. Also doch um den
Raum des Spirituellen! Doch Jesus hält fest: Es ist nicht
möglich, sich auf diesen Raum zu konzentrieren und der
irdischen Wirklichkeit keine Beachtung zu schenken. Gott hat
irdisches und überirdisches, zeitliches und ewiges Leben
zusammengefügt und aneinander gebunden. Jesus Christus
selbst ist der stärkste Beweis dafür: Gott in einem Menschen,
der als Kind hilflos war, der aß und trank, sich freute und weinte
und am Ende einen ganz irdischen Tod starb. Er ist der Weg –
und sein Weg, das irdische Leben, ist unser aller Weg, ohne
Ausweichmöglichkeit. Kein Himmel ist ohne die Erde zu haben.


Am Ende sollen wir aufgenommen werden in die „ewigen
Hütten“. Soll es einen Übergang geben von der Erde in die
Schwerelosigkeit des Himmels. Da will ich hin! Es soll ein
neues Zuhause geben, einen festen Ort. Wir sind Gäste auf
Erden. Unser bleibendes Zuhause steht noch aus. Wer wird
mich aufnehmen? Was heißt das, „damit sie euch aufnehmen
in die ewigen Hütten“? Wer sind „sie“?


Ich habe mir das Ankommen im ewigen Leben ganz anders
vorgestellt als das Betteln das Verwalters vor den Türen, wenn
er sagt: „Du schuldest mir noch einen Gefallen.“ Und der wird
noch gelobt! Die Kinder dieser Welt sind klüger als die Kinder
des Lichts. Ich bin eher stolz darauf, wenn ich mich für ehrlich
halte und Korruption anprangere. Wahrscheinlich verschließen
die Kinder des Lichts ihre Türen vor dem gekündigten
Verwalter. Sie haben keine Schulden gemacht, haben sich
nichts vorzuwerfen – und werfen anderen vor, dass sie nicht
klüger waren. Die Kinder des Lichts träumen mitunter vom
gerechten Geld und vom guten System. Das sind wichtige
Gedanken, und Veränderungen zu mehr Gerechtigkeit sind
nötig. Doch die Übergänge zwischen Gerechtigkeit, und
Selbstgerechtigkeit, zwischen realistischer Selbsteinschätzung
und dem Verlust von Augenmaß sind fließend. Bei aller
Anstrengung sind und bleiben wir Schuldner Gottes. Gäste auf
Erden – die häufig genug über ihre Verhältnisse leben.
Selbstgerechtigkeit hat keinen Grund. Geld,
Wirtschaftsbeziehungen und Systeme werden in dieser Welt
immer nur relativ gerecht sein.
Und so nimmt Jesus hier einen unkorrekten, aber erfrischender
Blick auf unsere Wirtschaftsbeziehungen im Großen und im
Kleinen ein: „Macht euch Freunde mit dem Geld“. Das klingt nur
so nach Bestechung – aber als Proberechenart ist es
bedenkenswert. Es ist nicht auszuschließen, dass es zu mehr
Gerechtigkeit führt, wenn ich mich frage, welches
wirtschaftliche Handeln Freunde macht. Ausbeutung und
übertriebene Strenge sicher nicht. Nach dem zweiten Weltkrieg
gab es solch ein ganz berechnendes „Freunde machen“ der westlichen Alliierten mit dem Marshall-Plan und während der
Berlin-Blockade mit der Luftbrücke. Auch mit Sühnezeichen
machen wir uns Freunde – und das ist ohne Geld nicht zu
haben.
Heute stehen wir auf der Seite der Wohlhabenden und
Mächtigen. Machen wir uns Freunde? Fördern wir
gesellschaftliche Segregation durch Eliteschulen für unsere
Kinder, oder wird es uns gelingen, andere Lösungen zu finden?
Zu welchem Preis werden Arme in anderen Ländern Zugang zu
Medikamenten erhalten, für die deutsche Firmen die
Patentrechte haben? Warum gelingt es uns so schlecht, uns
Freunde in Afghanistan zu machen? Werden wir uns Freunde
in Nordafrika machen? Und rechnen wir mit Menschen in Italien
und Griechenland, in Portugal und Spanien jetzt in der Krise als
mit unseren Freundinnen und Freunden?


Jesus hat mehrfach davor gewarnt, anderen das nicht zu
gönnen, was er uns gönnt. Hier auf Erden ist Barmherzigkeit
angesagt, und sei es nur aus dem Grund, dass wir selbst
zutiefst auf Barmherzigkeit angewiesen sind. Die kleine
Barmherzigkeit in den kleinen Begegnungen im Alltag ebenso
wie der beharrliche Einsatz gegen Unbarmherzigkeit im
politischen und gesellschaftlichen Rahmen.


Veränderungen beginnen nicht außen, sondern im inneren
Raum. Vor Gott bin ich nicht anders als der gekündigte
Verwalter. Wir sind Gäste der Erde – Luther schrieb am Ende:
„Wir sind Bettler, das ist wahr!“ Mir gefällt das nicht, ich sehe
mich selbst gerne anders. Aber ich weiß, dass es wahr ist.
Jesus Christus selbst sieht uns nicht primär als Schuldner,
sondern als Kinder und auch als Freundinnen und Freunde
Gottes. Gott weiß, dass unsere Möglichkeiten begrenzt sind –
auch unsere Möglichkeiten des Erkennens und die, Erkanntes
umzusetzen. Er schreitet jedoch ein, wenn sich seine Kinder
sich eines gegenüber dem anderen als Tyrannen aufspielen.
Wenn es unbarmherzig wird.


Jesus Christus deutet an, dass ein Kind das andere „in die
ewigen Hütten“ aufnehmen wird. Man kann überlegen, was das
heißen wird. Brauchen wir einen Bürgen, einen Zeugen, Engel?
Jemanden, der aussagt, dass wir barmherzig waren? Ich
vertraue darauf, dass er es letztlich selbst ist, der uns
aufnehmen wird. Er ist in und bei allen, die auf Barmherzigkeit
angewiesen sind. Auch bei uns. Er verlangt, dass wir
miteinander barmherzig werden. Dass wir uns hier einer dem
anderen öffnen, beistehen, aushelfen – so wie er uns den
Himmel geöffnet hat. Amen