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Predigt · 2. Sonntag nach Trinitatis · 3. Juli 2011 · Pfarrerin Ruth Misselwitz

Posted on Jul 10, 2011 in Predigten

Matthäus 22, 1 – 14

Liebe Schwestern und Brüder,


Es war eine Traumhochzeit.
Am 29. April 2011 traten Prinz William und Prinzessin Kate in
London vor den Traualtar.
Die Prinzessin trug ein weißes Brautkleid mit einer Meter langen
Schleppe.
Sie war wunderschön und überglücklich.


Die Großeltern, Königin Elisabeth und Prinz Philip, und der Vater
Prinz Charles hatten eingeladen zur kirchlichen Trauung und zum
anschließenden Fest.
Verwandte und Mitglieder der Königsfamilien aus der ganzen Welt
kamen,
Die Hochzeit war ein glanzvolles Fest, an dem auch die mitfeierten,
die nicht ins Schloss eingeladen waren.
Die Menschen in London feierten mit auf den Straßen,
und in der ganzen Welt wurde die Hochzeit im Fernsehen übertragen.


Eine königliche Hochzeit, die hat einen ganz besonderen Glanz.
Als Teilnehmende und Zuschauende werden viele angezogen von
diesem Glanz, der das Grau unseres Alltags für eine kurze Zeit
überstrahlt.
Ja, es gibt sie, diese andere Welt, in der alle schön, reich, glücklich
und zufrieden sind.
Es gibt sie, und für einen kurzen Moment sind wir dabei,
schauen durchs Schlüsselloch und fühlen uns vor der Tür auch ein
bisschen hinter der Tür – im großen Festsaal.


Die königliche Hochzeit – auch in der Bibel ist sie ein Bild für die
neue glanzvolle heile Welt, in die Gott einlädt.


Hinter den Zerwürfnissen und Sorgen, die wir im Alltag zu tragen
haben, in unserer zerrissenen und gewalttätigen Welt gibt es die
Einladung, anders zu leben, zu feiern, miteinander zu sein.


Jesus erzählt auch eine Geschichte von einer königlichen Hochzeit.
Wir kennen sie wahrscheinlich alle und ich möchte sie heute vorlesen
aus der Bibel in gerechter Sprache aus dem Matthäusevangleium:

1Und Jesus fuhr fort und sprach wieder zu ihnen in Gleichnissen: »2
Die gerechte Welt Gottes ist mit der Wirklichkeit in der folgenden
Geschichte von einem Menschenkönig zu vergleichen, der ein
Hochzeitsmahl für seinen Sohn veranstaltete. 3Und er schickte seine
Sklaven, um die Eingeladenen zum Hochzeitsmahl zu rufen, und sie
wollten nicht kommen. 4Da schickte er noch einmal andere Sklaven
und sagte: ›Richtet den Eingeladenen aus: Hört her! Ich habe mein
Mahl vorbereitet, meine Stiere und die gemästeten Tiere sind
geschlachtet, und alles ist bereit. Kommt her zum Hochzeitsfest.‹ 5
Sie aber gingen weg, ohne sich beeindrucken zu lassen, einer zu
seinem eigenen Ackerland, ein anderer zu seinen Geschäften. 6 Die
übrigen Eingeladenen überwältigten die Sklaven des Königs,
misshandelten sie und töteten sie. 7Da wurde der König zornig und
schickte seine Truppen und vernichtete diese Mörder und verbrannte
ihre Stadt. 8Dann sagte er zu seinen Sklaven: ›Das Hochzeitsmahl ist
vorbereitet, doch die Eingeladenen waren es nicht wert. 9 Geht zu den
Stadtausgängen der Straßen und ladet alle, die ihr findet, zum Hochzeitsmahl ein.‹ 10Und diese Sklaven gingen hinaus auf die
Straßen und sammelten alle ein, die sie fanden, böse und gute. Und
der Hochzeitssaal war gefüllt mit Menschen, die zu Tisch lagen.
11Der König kam herein, um die zu Tisch Liegenden zu besichtigen,
und sah dort einen Mann, der trug keine der Hochzeit angemessene
Kleidung. 12Und er sagte zu ihm: ›Mein Lieber, wie bist du hier
hereingekommen ohne festliche Kleidung?‹ Der aber blieb stumm.
13Da sagte der König zu seinen Bediensteten: ›Bindet ihm Füße und
Hände zusammen und werft ihn hinaus an einen Ort, an dem absolute
Finsternis herrscht. Dort wird er schreien und vor Todesangst mit den
Zähnen knirschen.‹

14 Gott ruft alle Völker, aber das schwächste liebt er besonders.«


(Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache, Dr. Ulrike Bail / Frank
Crüsemann / Marlene Crüsemann (Hrsg.), Bibel in gerechter Sprache
© 2006, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe
Random House GmbH)


Eine verwirrende Geschichte ist das – kein harmonisches Fest, keine
glückliche Gemeinschaft,
nichts von dem, was wir von einer königlichen Hochzeit erwarten.


Sie beginnt damit, dass die Eingeladenen nicht kommen.
Ein Fest ohne Gäste, das ist eine traurige Angelegenheit.
Deshalb lässt der König nicht locker.


Wieder schickt er seine Knechte.


Aber auch auf die wiederholte Einladung, in der der Gastgeber drängt
– das Essen ist vorbereitet, der Wein ist kalt gestellt, die Tische sind
gedeckt, es soll endlich losgehen –
wenden sie sich ab und gehen ihren Geschäften nach.


Und schlimmer noch, die Knechte, die der König gesandt hat, werden
verhöhnt und getötet.


Was ist das für eine Beziehung? Was ist das für ein König?
Seine Einladung wird nicht gewürdigt.


Es ist keine Ehre, noch nicht einmal eine lästige Pflicht, ihr
nachzukommen.


Sie ist eine Provokation – als fühlten sich die Eingeladenen
herausgefordert und bedroht,
so reagieren sie jedenfalls auf die Knechte des Königs.
Mit seinen Knechten bringen sie die um, die ihm dienen und ihn in
seiner Macht unterstützen.


Der König reagiert darauf ebenfalls mit Gewalt.


Die Ablehnung deutet er radikal: Wenn die Eingeladenen nicht
kommen, dann sind sie es auch nicht wert zu leben.
Er schickt sein Heer, bringt die Leute um und zündet die Stadt an.


Der Friede im Land ist dahin.
Bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen nun in dem Reich dieses
Königs.


Aber dieser König ist in seiner Ehre gekränkt und gibt nicht auf.
Es gibt ja noch andere. „Ladet ein, wen ihr findet.“ sagt er seinen
Knechten.


Und sie gehen auf die Straßen und schleppen die Leute davon,
alles, was ihnen in die Hände kommt, Gute und Böse, Würdige und
Unwürdige, es ist völlig egal, eine Auswahl wird nicht mehr gemacht –
Hauptsache die Tische werden voll


Und so werden die Tische voll.
Das Fest kann beginnen.


Kommt jetzt endlich Feierstimmung auf?
Wird es jetzt endlich schön, harmonisch, glanzvoll?


Davon kann keine Rede sein.
Wieder stimmt etwas nicht.
Dem König fällt ein Gast auf, an dem er Anstoß nimmt. Er hat kein
hochzeitliches Kleid an.


Wie kann er auch, denke ich. Er ist ja gerade erst von der Straße
geholt worden.


Als er gefragt wird, warum er nicht entsprechend gekleidet ist,
verstummt er – was soll er auch antworten.


Die Reaktion des Königs ist schrecklich: Er lässt ihn gefangen
nehmen und in die Finsternis hinaus werfen, wo er jämmerlich zu
Grunde gehen soll.


Ja, und nun, können die Gäste jetzt entspannt feiern?


Vorstellen kann ich mir das nicht. Da ist zu viel vorgefallen.


Diese Hochzeit ist nicht fröhlich, nicht leicht, nicht prachtvoll.
Wer ist der König, von dem Jesus hier erzählt?


Was für eine Hochzeit wird hier beschrieben?


Ist das die Hochzeit, die wir erwarten im Reiche Gottes?


Oder ist es die Beschreibung einer Hochzeit, die ein Despot
veranstaltet aus der unmittelbaren Erfahrungswelt, aus der Jesus
kommt?


Liebe Schwestern und Brüder,
der Evangelist Matthäus, der diese Geschichte festgehalten hat,
schreibt auf dem Hintergrund einer von Gewalt und Missachtung
gekennzeichneten sozialen und politischen Situation im Land,
die in der Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahre 70 gipfelt.


Das Gleichnis gibt diese gewalttätige Atmosphäre wieder.
Bürgerkriegsähnliche Zustände werden hier geschildert,
in denen sich die politischen Eliten – hier in Gestalt des Königs –
immer wieder als imperiale Herrscher durchsetzten.


Mit dem Königtum Gottes aber hat das nichts zu tun.


Das Königtum Gottes ist ganz anders.
Es ist ein Gegenbild zur Wirklichkeit, in der wir leben.
Gott verfährt nicht so.


Liebe Schwestern und Brüder, die Theologin Luise Schottroff,
eine Mitbegründerin der feministischen Theologie,
hat in einem für mich sehr aufregenden Buch die Gleichnisse Jesu
ganz intensiv unter die Lupe genommen
und eine völlig neue Interpretation gewagt. („Die Gleichnisse Jesu“
Gütersloher Verlagshaus 2. Auflage 2007)


Die uns bekannte und traditionelle christliche Deutung ist folgende:

Der König ist Gott,
die geladenen Gäste sind das Volk Israel, die die Einladung
ausschlagen, und deshalb von Gott hart bestraft werden,
die eingesammelten Gäste von der Straße sind die Heiden,
also die Völker außerhalb des Judentums
und der Gast mit dem schlechten Kleid ist derjenige, der noch keine
Taufe empfangen hat,
weil mit der Taufe empfängt man das hochzeitliche Gewand.


Mit dieser Deutung hat die christliche Kirche ihren Antijudaismus
über die Jahrhunderte hindurch genährt und gepflegt.


Luise Schottroff aber hat nun in jahrelanger wissenschaftlicher Arbeit
herausgefunden,
dass in der jüdischen Tradition im 1. Testament wie auch in der
rabbinischen Literatur zur Zeit Jesu,
besonders krasse Beispiele aus der bedrückenden Gegenwart erzählt
wurden,
um gerade mit diesen deutlich zu machen,
dass es eben so nicht im Reiche Gottes zugeht.


Die Zuhörer und Zuhörerinnen wussten sofort, wenn einer sagte:
Mit dem Reiche Gottes ist es wie…..
und dann kam so eine gewaltvolle Geschichte –
dass diese Geschichte – im Vergleich mit dem Reich Gottes –
als eine Gegengeschichte gemeint war.


So wie das Jesus wenige Verse vor dieser Geschichte im
Matthäusevangelium tut,
in dem er seinen Jüngern und Jüngerinnen sagt:
„Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die
Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch;
sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener und wer
unter euch der erste sein will, der sei euer Knecht.“ (Matth. 20, 25ff)


Liebe Schwestern und Brüder,
so wie sich Jesus als ein Kind seines Vaters im Himmel verstanden
hat,
dem er sich in voller Hingabe anvertrauen kann,
von dem er sich geliebt und angenommen wusste,
und dessen Reich eben nicht von unberechenbarer Gewalt und
Totschlag regiert ist,
so ist diese Geschichte vom Hochzeitsmahl schwer einzuordnen in die
frohe Botschaft von der Befreiung der Menschen aus Willkür und
Gewalt.


Liebe Schwestern und Brüder,
ich kann dieser Deutung von Luise Schottroff als Gegengeschichte
zum Reiche Gottes sehr viel abgewinnen,
sie führt hinaus aus der jahrhundertelangen antijudaistischen
christlichen Haltung
und aus dem Bild eines unberechenbaren gewalttätigen Gottes.


„Selig sind die Gewaltlosen, denn sie werden das Erdreich besitzen“ –
das ist die Botschaft Jesu von dem Reich Gottes, das hier und jetzt
anbricht, überall da, wo der Wille Gottes geschieht.
Amen.